21.06.2011

Verdachtskündigung: Das müssen Sie als Betriebsrat wissen

Mit dem „Rauswurf ohne Beweise“ ist das so eine Sache … Aktuell berichtet die Wiesbadener Zeitung von einem Fall, der sich in der Spielbank Wiesbaden abspielt. Die Geschäftsleitung hat einer 29-jährigen Croupière die fristlose Kündigung ausgesprochen – weil sie angeblich einen 100-Euro-Jeton gestohlen hat. Nur – der Arbeitgeber hat keine Beweise hierfür. Er hat lediglich einen „Verdacht“, auf den er seine Kündigung stützte.

Hintergrund: Über zehn Jahre sitzt die 29-Jährige schon an den Roulettetischen im Kurhaus und gilt als eine der Besten ihres Fachs. Doch im Juni soll sie einen 100-Euro-Jeton heimlich in ihre Westentasche gesteckt haben. Eine Aushilfe hat dies beobachtet und die Geschäftsführung informiert. Diese kündigte. Fristlos.

Die 29jährige sagt: „Das stimmt nicht. Das ist einfach gelogen.“ Der Betriebsrat glaubt ihr – und hat der Kündigung nicht zugestimmt.Doch der Fall geht noch weiter:

Der Arbeitgeber spricht auch von „Videobeweisen“. Denn seit 3 Jahren hat der Arbeitgeber rund 30 Kameras in den Räumlichkeiten installiert. Diese vermeintlichen Videobeweise hat der Betriebsrat aber erst gar nicht angeschaut. Denn die Kameras wurden seinerzeit gegen den Willen des Betriebsrats installiert – und sind nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichts rechtlich unzulässig. Trotzdem hängen die elektronischen Augen noch überall. Denn die Geschäftsführung hat gegen das Urteil Beschwerde eingelegt. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, ob die Revision zulässig ist, kann derweil noch Monate dauern.

Doch die Aufzeichnungen und deren Verwendbarkeit interessierten die Arbeitsrichterin beim Gütetermin am vergangenen Donnerstag nicht. Schließlich gebe es ja eine Augenzeugin. Und siehe da: Die hat laut Spielbank-Leitung das Einstecken des Jetons gar nicht gesehen – wohl aber ein „seltsames Hantieren“ und „zwei abgewinkelte Finger an der linken Hand beim Chipsortieren“. Für die Spielbank-Leitung reichen diese Beobachtungen: Damit sei „das Vertrauensverhältnis irreparabel zerstört“, und dies wiederum rechtfertigt eine Verdachtskündigung. Beweise bedürfe es nicht.

Einigen konnten sich die Parteien nicht übrigens nicht: Die Casino-Leitung besteht auf Entlassung, die 29-Jährige auf Weiterbeschäftigung.  Bis 19. Oktober soll die Spielbank-Chefetage nun Vorschläge für einen Vergleich machen. Für den Betriebsrat steht indes fest, dass die 29-Jährige ein „Bauernopfer“ ist: Mit diesem Rauswurf versuche die Geschäftsführung ihre übertriebene und unzulässige  Videoüberwachung im Nachhinein zu rechtfertigen. Die sehe in beinahe jedem Croupier einen „potenziellen Dieb“, weil die täglich mit rund 1,7 Millionen Euro in Plastikgeld hantierten.
Hand aufs Herz:
Wenn ein Arbeitgeber schon die Beobachtung einer Aushilfe über ein „seltsames Hantieren“ und „zwei abgewinkelte Finger an der linken Hand“ zum Anlass für eine Kündigung nehmen, stellt sich die Frage, ob mit unserem Arbeitsrecht alles in Ordnung ist. Und auch die Tatsache, dass eine unerlaubte Videoüberwachung fortgesetzt werden kann, obwohl schon ein Landesarbeitsgericht „Nein“ gesagt hat, ist alles andere als erfreulich. Nichtsdestotrotz beinhaltet dieser Fall gleich zwei wichtige Aspekte, die für Sie als Betriebsrat von Bedeutung sind: das Thema „Verdachtskündigung“ und das Thema „Videoüberwachung“. In dieser Ausgabe werfe ich im Tipp des Tages einen Blick auf das erste Thema – und in der kommenden Ausgabe dann auf das Thema „Videoüberwachung“.

Zuerst also das Thema Verdachtskündigung: Jede Kündigung und der damit verbundene Verlust des Arbeitsplatzes ist ein tiefer Einschnitt für den betroffenen Arbeitnehmer. Bei einer Verdachtskündigung kommt ein weiteres negatives Element hinzu: Der Betroffene wird lediglich verdächtigt, Unrecht begangen zu haben. Einen Nachweis hat der Arbeitgeber aber nicht. An die Verdachtskündigung werden deshalb hohe Anforderungen gestellt. So reicht zum Beispiel der Verdacht, ein Arbeitnehmer habe einen Betrug zu Lasten der Haftpflichtversicherung begangen, kann eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Das hat zuletzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden (Urteil vom 29.11.2007, Az. 2 AZR 724/06).

Im damals zugrundeliegenden Fall war ein Arbeitnehmer bei seinem Arbeitgeber als Kraftfahrer beschäftigt. Zusammen mit 3 Kollegen wurde ihm vorgeworfen, einige Unfälle verursacht zu haben – davon einen Teil vorsätzlich und in Absprache mit den Unfallgegnern. Die Unfälle wurden stets über die Haftpflichtversicherung der Arbeitgeberin abgerechnet. Das Versicherungsunternehmen zog seine Konsequenzen. Es erstattete Strafanzeige wegen Versicherungsbetrugs. Nachdem die Arbeitgeberin über die Einzelheiten des Ermittlungsverfahrens unterrichtet worden war, hörte sie die betroffenen Arbeitnehmer zu den Vorwürfen an. Alle 4 bestritten jedoch die Beteiligung an der Straftat.

Fristlose Kündigung: Die Arbeitgeberin kündigte den 4 Beschäftigten daraufhin nach entsprechender Anhörung des Personalrats fristlos sowie vorsorglich ordentlich.

Arbeitnehmer meint: Ausreichender Tatverdacht nicht gegeben

Da die Arbeitgeberin die Kündigungen auf den Verdacht des Versicherungsbetrugs gestützt hatte, wendete der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzverfahren ein, dass keine hinreichend objektiven Tatbestände vorliegen würden, die einen dringenden Tatverdacht für eine vorsätzliche Unfallverursachung rechtfertigen könnten. Mit der Kündigungsschutzklage hatte der Beschäftigte vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht Erfolg. Das BAG stellte sich allerdings auf die Seite der Arbeitgeberin.

Die Richter entschieden, ein allein auf Tatsachen beruhender Verdacht, der Arbeitnehmer habe mit Fahrzeugen des Arbeitgebers zu Lasten von dessen Haftpflichtversicherung Schäden in Absprache mit den Unfallgegnern verursacht, kann eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Voraussetzung einer derartigen Verdachtskündigung sei allerdings, dass starke Verdachtsmomente vorlägen, die auf objektiven Tatsachen beruhten. Sie müssten aber auch geeignet sein, das für die Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses notwendige Vertrauen des Arbeitgebers zu zerstören. Außerdem müsse der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen haben. Das heißt, er muss vor allem dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben.

BAG geht von hinreichendem Tatverdacht aus

Hier bestand nach Auffassung der Richter wegen der Häufigkeit der Unfälle eine große Wahrscheinlichkeit, dass hinreichende Verdachtsmomente gegen den Arbeitnehmer gegeben waren. Anders aber sieht das wohl im Fall aus Wiesbaden aus …

Welche Rolle Sie als Betriebsrat spielen

Wie bei jeder anderen Kündigung muss Ihr Arbeitgeber Sie auch vor einer Verdachtskündigung hören (§ 102 BetrVG).

Tipp: Bevor Sie Ihre Stellungnahme verfassen, sollten Sie als Betriebsrat gerade bei einer Verdachtskündigung den betroffenen Kollegen hören. Denn gerade, wenn die Argumentation Ihres Arbeitgebers nur auf einem Verdacht beruht, haben Sie gute Chancen, dass Sie auf Grund des Gesprächs mit dem Kollegen Gründe anführen können, die diesen entlasten. Und diese Gründe wiegen bei der Abwägung „Zustimmen oder nicht“ schwer. Im Zweifelsfall gilt: Solange ein Verdacht nicht hinreichend bewiesen ist, gilt die Unschuldsvermutung. Stimmen sie deshalb in Zweifelsfällen der Kündigung nicht zu. Das verhindert zwar nicht die Kündigung – kann aber dem Arbeitnehmer später vor Gericht behilflich sein!

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