22.07.2016

Schmerzensgeld, wenn der Dienstherr schnüffelt?

Zugegeben, es gibt schwarze Schafe, die immer wieder blaumachen und sich dies auch noch vom Arzt per gelben Schein genehmigen lassen. Wenn Ihr Dienstherr den Verdacht hat, es mit einem Blaumacher zu tun zu haben, darf er diesem dann einen Privatdetektiv hinterherschicken? Einfach so sicher nicht, sagen die Richter am Bundesarbeitsgericht (BAG), aber lesen Sie selbst (19.2.2015, Az. 8 AZR 1007/13). Das Urteil ist für Sie als Personalrat sehr interessant, da Sie Überwachungsmaßnahmen ja zustimmen müssen.

Der Fall: Eine Arbeitnehmerin war seit Mai 2011 als Sekretärin der Geschäftsleitung angestellt. Ab dem 27.12.2011 war sie wegen einer Bronchitis arbeitsunfähig erkrankt. Bis 28.2.2012 setzte sich die Arbeitsunfähigkeit fort, bescheinigt durch 6 fachärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom Allgemeinmediziner. Ab 31.1.2012 legte sie dann noch 2 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen eines Orthopäden vor.

Aufgrund der Fülle an Bescheinigungen wurde der Geschäftsführer stutzig.

Zudem hatte ihm die Sekretärin telefonisch mitgeteilt, einen Bandscheibenvorfall erlitten zu haben; auch dies wollte er nicht glauben. Also beauftragte er einen Detektiv mit ihrer Überwachung.
Dieses erfolgte von Mitte bis Ende Februar 2012 an 4 Tagen. Der Detektiv beobachtete unter anderem, wie die Sekretärin mit ihrem Mann und dem Familienhund das Haus verließ und einen Waschsalon aufsuchte. Insgesamt übergab er dem Arbeitgeber 11 Bilder, 9 davon aus Videosequenzen.

Die Arbeitnehmerin hielt die ganze Überwachung für rechtswidrig und verlangte von ihrem Arbeitgeber Schmerzensgeld. Dies klagte sie auch ein; ihr schwebte eine Summe von mindestens 10.500 € vor.

 

Arbeitgeber muss zahlen
Das Urteil: Die Sekretärin gewann auch. Ein Arbeitgeber darf seine Mitarbeiter per Detektiv überwachen, aber nur dann, wenn es einen berechtigten Anlass zur Überwachung gibt. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen hätte vor dem Detektiveinsatz schon erschüttert gewesen sein müssen.

Dies war hier nicht der Fall. Denn nur weil die Bescheinigungen von unterschiedlichen Ärzten stammen, kann deren Beweiswert nicht erschüttert sein. Hier hätte mehr dazukommen müssen. Die Verdachtsmomente gegen die Arbeitnehmerin waren schlicht nicht stark genug.

Aber: Die Richter sprachen ihr keine 10.500 € zu, sondern nur 1.000 € – ein kleines Trostpflaster.

Überwachung nur mit Sachgrund
Fazit:
Da hatte es sich der Arbeitgeber zu leicht gemacht. Lange Fehlzeiten und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen verschiedener Ärzte reichen nicht aus, um einen Mitarbeiter überwachen zu lassen. Wäre die Mitarbeiterin während der Arbeitsunfähigkeit beim Extremsport gesehen worden – was mit einem Bandscheibenvorfall ja kaum möglich ist –, dann hätte der Arbeitgeber Grund genug gehabt, sie überwachen zu lassen.

Überwachung versus Persönlichkeitsrecht
Bei der Überwachung dreht sich alles um folgende Frage: Wann darf sich der Dienstherr über das Persönlichkeitsrecht Ihrer Kollegen hinwegsetzen?

Die Antwort: Grundsätzlich braucht sich kein Mitarbeiter weiter einzuschränken als nötig. Maßnahmen, die die Privatsphäre der Mitarbeiter berühren, sind daher immer an folgenden Grundsätzen zu messen: Die Maßnahme muss geeignet, erforderlich und angemessen sein.

 

Überwachungen sind geeignet, wenn der bezweckte Erfolg damit gefördert werden kann.

Beispiel: Die heimliche Überwachung Ihrer Kollegen per Videokamera ist geeignet, Diebstähle aufzuklären.

Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn es keine anderen, weniger einschränkenden Mittel gibt.

Beispiel: Verdeckte Videoaufnahmen sind zur Aufklärung von Diebstählen erforderlich, wenn der offene Einsatz von Kameras bisher nicht zu einer Aufklärung führen konnten.

Angemessen ist eine Maßnahme dann, wenn sie verhältnismäßig ist, das heißt, wenn sie den Mitarbeitern auch zumutbar ist. Kriterien hierfür sind, wie intensiv die Maßnahme ist, ob der betroffene Mitarbeiter selbst Anlass gegeben hat etc.

Beispiel: Kommen im Lager der Kantine immer wieder Waren weg, ist eine Überwachung des Lagers zumutbar, nicht aber der ganzen Kantine.

In jedem Fall sind solche Einschränkungen immer nur dann und so weit möglich, als nach einer Abwägung ein schutzwürdiges Interesse Ihres Dienstherrn das Mitarbeiterinteresse überwiegt

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