16.02.2012

Gewalt am Arbeitsplatz vermeiden: Gemeinsam steuern wir gegen

Unsere Gesellschaft wird leider immer gewaltbereiter. Ein Phänomen, das uns allen Sorgen bereitet und das wir so nicht hinnehmen sollten. Leider schlägt die„Gewaltwelle“ auch in das Arbeitsleben über. Lassen Sie uns hier gemeinsam gegensteuern! 

Zwar ist das Phänomen Gewalt bei der Arbeit nicht neu, aber die Gewaltbereitschaft hat zugenommen und ist in ihrer Ausprägung brutaler geworden. Die Folgen sind fatal – nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für ihre Kollegen. Denn das mulmige Gefühl, jeden Tag selbst Opfer werden zu können, bestimmt oft das Arbeitsverhalten – Fehlhandlungen und Fehlzeiten nehmen zu. Für die Dienststellen und Betriebe ist dies ein ernst zu nehmender Kostenfaktor. Sagen Sie das auch Ihrem Dienstherrn, um ihn so zum Handeln zu motivieren. 

Dokumentieren Sie jeden Vorfall 

Aus Sicht der Unfallversicherungsträger (Unfallkassen und Berufsgenossenschaften) ist eine Verletzung durch Gewalteinwirkung bei der Arbeit genauso ein Arbeitsunfall wie etwa ein Sturz von der Leiter. Das heißt, der Betroffene hat gegen den Unfallversicherungsträger Anspruch auf die entsprechenden Leistungen wie etwa Heilbehandlungen usw. Das gilt freilich – wie bei jedem Arbeitsunfall – nur dann, wenn das Gewaltereignis eindeutig arbeitsbedingt ist. 

Raten Sie den Betroffenen darum nachdrücklich, den Vorfall bei der Polizei und der Unfallkasse anzuzeigen, möglichst mit Angaben zu Zeugen. Ebenso müssen Verletzungen in Ihr Verbandbuch eingetragen werden. 

Gefährdungsbeurteilungen: Berücksichtigen Sie die Gewaltproblematik 

In den Gefährdungsbeurteilungen werden Gefährdungen durch gewaltsame Übergriffe oft ausgeblendet, außer etwa bei Tätigkeiten in Bewachungsunternehmen, am Bankschalter usw., wo Gewalt hauptsächlich als „Nebenerscheinung“ von Eigentumsdelikten auftritt. Das ist aber falsch! Denken Sie hier z. B. an Pflegepersonal oder Ärzte, die in letzter Zeit von gewaltbereiten Angehörigen oder Patienten berichten. 

Bei der Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz müssen Sie als MAV bzw. Ihr Dienstgeber auch solche Gefährdungen ermitteln und beurteilen. Auf dieser Grundlage können dann erst alle erforderlichen Maßnahmen getroffen werden, um Gesundheit und Leben Ihrer Kolleginnen und Kollegen zu schützen. 

Welche Personen sind besonders gefährdet? 

Angehörige folgender Berufsgruppen sind einem besonders hohen Gewaltrisiko ausgesetzt: 

  • Krankenhauspersonal, vor allem in psychiatrischen Einrichtungen, aber auch z. B. in der unfallchirurgischen Notaufnahme 
  • Pflegepersonal in Alten- und Pflegeheimen 
  • Personal in Einrichtungen mit Publikumsverkehr wie etwa karitative Einrichtungen usw. 

Das Gefährdungspotenzial steigt, wenn der Betroffene allein und/oder nachts arbeitet, wie z. B. Nachtwache in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen. 

Ergreifen Sie diese Maßnahmen auf 3 Ebenen

Wirksame Präventionsmaßnahmen gegen das Gewaltrisiko hängen sehr von der Art der Tätigkeit bzw. den Besonderheiten des Betriebs ab; für Beschäftigte in Amtsstuben müssen sie anders angelegt sein als etwa für die Nachtschwester in der Psychiatrie. Dennoch sollten Sie als MAV grundsätzlich auf 3 Ebenen ansetzen. Welche das sind, sehen Sie in der Tabelle am Ende dieses Beitrags zusammen mit einigen konkreten Beispielen. 

Beispiel: Im Sozialamt Berlin-Neukölln häuften sich Ende der 1990er Jahre Angriffe auf Bedienstete. Das Amt verschärfte die Sicherheitsmaßnahmen und installierte Videokameras auf den Amtsfluren. Schilder wiesen darauf hin. Das Amt konnte die Zahl der Vorfälle dadurch drastisch reduzieren. Mitarbeiter wurden in Deeskalationstechniken geschult, über ein Alarmsystem können sie den nahe gelegenen Polizeiabschnitt alarmieren. Mittlerweile patrouillieren auch Wachdienste in den Sozialämtern der meisten Berliner Bezirke. Auffällig gewordene Hilfeempfänger werden meist angezeigt und mit einem Hausverbot belegt. 

Arbeiten Sie in einer Dienststelle mit viel Kundenkontakt, könnte Ihr Dienstherr bei Bedarf etwa einen Sicherheitsdienst engagieren. 

Organisieren Sie gezielte Präventionsschulungen 

Gerade Mitarbeiter mit Außendiensttätigkeiten (z. B. Mitarbeiter in der ambulanten Pflege oder im Rettungsdienst) können potenziell gewalttätigen Situationen nicht immer ausweichen. Für die Betroffenen ist es aber wichtig, Verhaltensweisen zu erlernen, die deeskalierend wirken. 

So sollte beispielsweise der Patient nie das Gefühl haben, ohnmächtig ausgeliefert oder gar minderwertig zu sein. Ein betrunkener Patient wird nicht oder weniger aggressiv sein, wenn ihm wegen seiner Trunkenheit keine Vorwürfe gemacht werden bzw. nicht die Nase über ihn gerümpft wird. 

Tipp: Aus eins mach mehr. Oft werden Multiplikatorentrainings angeboten. Bei dieser kostengünstigen Variante lassen z. B. Sie als MAV sich schulen und vermitteln Ihr Wissen dann nach Bedarf an die Kolleginnen und Kollegen in Ihrer Dienststelle weiter. 

Im Fall eines Falles: Stellen Sie eine Nachbetreuung sicher 

Wenn es trotz Ihrer Vorsichtsmaßnahmen doch einmal zu einem gewaltsamen Übergriff gekommen ist, sollten Sie veranlassen, dass der Betroffene die nötige Hilfe und Betreuung bekommt. Selbst wenn das Opfer unverletzt davonkommt, kann das Schockerlebnis tiefe innere Spuren hinterlassen: Sie reichen von „gestörtem“ Verhalten durch übersteigertes Misstrauen etwa gegenüber Kunden bis zu Angst- und Panikreaktionen ohne offenkundigen Anlass. 

In manchen Fällen müssen Betroffene darum sogar den Arbeitsplatz wechseln. Deshalb ist nach einem Übergriff rasches und richtiges Handeln gefragt. Empfehlen Sie dazu allen Vorgesetzten in der Dienststelle diese Sofortmaßnahmen:

1. Schirmen Sie nach dem Angriff den oder die unmittelbar Betroffenen vor Kollegen, Kunden und ggf. der Presse ab 

2. Wenn der Betroffene sich nicht in der Lage sieht, seine Arbeit fortzusetzen, beauftragen Sie einen geeigneten Kollegen als Betreuer, der ihn auf Wunsch zur Zeugenvernehmung durch die Polizei, zum Durchgangsarzt usw. begleitet. Dieser „Coach“ sollte dem Opfer auf Wunsch noch einige Zeit als Ansprechpartner in der Dienststelle und falls notwendig auch nach Feierabend zur Verfügung stehen. 

Das Opfer sollte immer den Arzt aufsuchen 

Sorgen Sie dafür, dass jedes Gewaltopfer – auch wenn es augenscheinlich unverletzt ist – unmittelbar nach dem Ereignis den Amts- oder Durchgangsarzt aufsucht; nicht nur um möglicherweise verborgene Schäden auszuschließen, sondern auch, weil die psychischen Folgen der Gewalteinwirkung nicht selten verzögert auftreten. Der Arzt entscheidet dann über Arbeitsunfähigkeit und ggf. notwendige ärztliche oder psychologische Behandlung. Bei Bedarf gewähren die Unfall- versicherungsträger nach Überfällen bis zu 5 psychotherapeutische Sitzungen. 

Tipp: Keine Scheu vor psychotherapeutischer Hilfe. Diese sollten Ihre Kolleginnen und Kollegen unbedingt in Anspruch nehmen. Viele unterlassen es, weil sie sich schämen, sie sind ja nicht „verrückt“. Der Besuch beim Psychologen oder Psychotherapeuten ist aber keine Schande, sondern nur eine Hilfe zurück ins Leben. Sagen Sie dies Ihren Kollegen. 

Gewalt unter Kollegen ist kein Kavaliersdelikt 

Gewalt am Arbeitsplatz kommt nicht nur von außen, auch Kollegen untereinander sind manchmal gewalttätig. Das darf niemals toleriert werden. Ihre Dienststellenleitung ist dann sogar zur außerordentlichen Kündigung berechtigt. 

Erfahren Sie von Gewalt unter Kollegen, treten Sie sofort an den Übeltäter heran und fordern Sie ihn auf, sein Verhalten zu ändern. Informieren Sie auch die Dienststellenleitung, damit sie eingreifen kann. Mit Abschreckung können Sie meistens einen weiteren Gewaltausbruch verhindern. 

Übersicht: Gewalt am Arbeitsplatz – Präventionsmaßnahmen auf 3 Ebenen 

1. Arbeitsumgebung 

  • bauliche und technische Sicherheitsmaßnahmen, z. B. Zugangssperren, Videokameras (mit deutlich sichtbaren Hinweisen auf die Überwachung!), helle Beleuchtung, Alarm und Notrufsysteme, bei Alleinarbeit ggf. Notsignalanlagen 
  • Anmeldung der Besucher 
  • keine Einzelbüros in kritischen Bereichen 
  • Büros mit Sichtverbindung zu anderen Mitarbeitern 
  • im Büro keine Objekte frei zugänglich liegen lassen, die als Waffen dienen könnten (z. B. Brieföffner) 
  • angenehme, freundlich gestaltete Warteräume für die Besucher zur Verhinderung des Aufbaus von Aggressionen

2. Arbeitsorganisation und -abläufe 

  • Anmeldung beim Empfang 
  • „Kundensteckbrief“ für Besucher, die schon als aggressiv aufgefallen sind, und Vorwarnung des Sachbearbeiters durch das Empfangspersonal 
  • Bedienung dieser Besucher nur in Gegenwart eines Kollegen 
  • transparentes Wartezeitenmanagement (z. B. Nummern ziehen) 
  • ggf. Einrichtung von Wachdiensten

3. Mitarbeiterunterweisung und -schulung 

  • „Alarmsignale“ rechtzeitig erkennen
  • Schulung zur Kommunikation mit aggressiven Kunden und zu Deeskalationsstrategien 
  • Verhalten in Stresssituationen 

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