03.12.2019

Neue Regeln zur Übertragung des Urlaubs ins nächste Jahr

Viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen haben nach einem Jahreswechsel noch ein paar Tage Resturlaub übrig, vielleicht ja auch aktuell aus dem Jahr 2018. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sowie den Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) ist die Urlaubsübertragung ins Folgejahr allerdings nur ausnahmsweise zulässig. 

Denken Sie daran: Ihre schwerbehinderten Kolleginnen und Kollegen haben Anspruch auf 5 Tage Zusatzurlaub im Jahr, wenn sie an 5 Tagen pro Woche arbeiten. Arbeitet ein schwerbehinderter Kollege mehr oder weniger, erhöht bzw. reduziert sich der Urlaubsanspruch entsprechend nach § 208 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) IX. 

Unterscheiden Sie konkret diese folgenden 9 Fälle, um Ihre schwerbehinderten Kolleginnen und Kollegen auch im Jahr 2019 rechtssicher beraten zu können: 

1. Fall: Kein Urlaubsantrag bis 31.12.2018 gestellt 

Bislang galt für den Fall, dass ein Mitarbeiter seinen Urlaub ganz oder teilweise nicht beantragt hatte, dass der Urlaub am Jahresende nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfällt. Nach der neuesten EuGH- und BAG-Rechtsprechung gilt jedoch: 

1. Der Urlaub verfällt nur, wenn Ihr Arbeitgeber den Kollegen durch eine angemessene Aufklärung in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub rechtzeitig im alten Jahr zu nehmen. 

2. Zur Aufklärung gehört dann auch, dass der Kollege darüber informiert wurde, dass sein Urlaub ersatzlos verfällt, wenn er ihn nicht beantragt (EuGH, 6.11.2018, Az. C- 684/16 und BAG, 19.2.2019, Az. 9 AZR 541/15). 

Wenn Ihr Arbeitgeber oder Dienstherr also den Kollegen bisher kein Aufklärungsschreiben hierzu geschickt hat, bestehen die alten Urlaubsansprüche noch. Allerdings ist noch offen, wie lange der Urlaub übertragen werden muss. Nach deutschem Recht verjähren Urlaubsansprüche nach 3 Jahren. Das heißt, Ihr Arbeitgeber müsste 2019 noch Urlaub aus 2016, 2017 und 2018 gewähren. 

Tipp: Tarifverträge einsehen. Falls in Ihrem Betrieb ein Tarifvertrag anzuwenden ist, sollten Sie einmal einen Blick hineinwerfen. Häufig sind dort abweichende Regelungen getroffen, z. B. ein verlängerter Übertragungszeitraum. 

Automatische Übertragung der restlichen Tage 

Ihre Kollegen brauchen die Übertragung des Urlaubs grundsätzlich nicht zu beantragen. Das geschieht, wenn die Voraussetzungen vorliegen, nach dem Gesetz automatisch. 

2. Fall: Urlaub aus betrieblichen Gründen nicht genommen 

Konnte ein Kollege aus dringenden betrieblichen Gründen seinen Urlaub 2018 nicht vollständig nehmen, wird er bis zum 31.3.2019 übertragen und verfällt dann (§ 7 Abs. 3 BUrlG). Lehnt Ihr Arbeitgeber einen Urlaubsantrag für das erste Quartal ab, macht er sich schadenersatzpflichtig: Der Kollege kann seinen Resturlaub dann auch noch nach dem 31.3.2019 nehmen. 

3. Fall: Krankheitsbedingter Urlaubsausfall 

Auch wenn Ihr Kollege seinen Urlaub 2018 aus persönlichen Gründen wegen einer Krankheit nicht vollständig nehmen konnte, wird der Rest bis zum 31.3.2019 übertragen. Das gilt aber nur, soweit er 2018 keinen Urlaub mehr nehmen konnte. Ist er beispielsweise seit Mitte Dezember 2018 wieder gesund, hätte er für den Rest des Jahres Urlaub nehmen können. Nun gilt wieder der erste Fall, also die Frage, ob Ihr Arbeitgeber den Kollegen über den Urlaubsverfall aufgeklärt hat. 

4. Fall: Lange Erkrankung 

War Ihr Kollege so lange krank, dass er seinen Urlaub auch im Übertragungszeitraum nicht nehmen konnte, verfällt sein Urlaub erst 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres, das heißt am 31.3. des übernächsten Jahres. Davon betroffene Kollegen können daher bis zum 31.3.2019 noch Urlaub aus 2017 nehmen und bis zum 31.3.2020 Urlaub aus 2018. Diese Übertragungsregeln gelten übrigens auch, wenn der Kollege seinen Urlaub wegen einer befristeten Erwerbsminderungsrente nicht nehmen konnte (BAG, 7.8.2012, Az. 9 AZR 353/10). 

Diese Grundsätze hat der EuGH geschaffen und damit neue Maßstäbe gesetzt (20.1.2009, Az. C-350/06 und Az. C-520/06). In dem vom EuGH entschiedenen Fall war ein Arbeitnehmer mehr als 30 Jahre bei seinem Arbeitgeber angestellt. In den letzten 10 Jahren, in denen das Beschäftigungsverhältnis bestand, war er immer wieder längere Zeit arbeitsunfähig krank. Letztlich führte dies dazu, dass der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub wegen seiner Arbeitsunfähigkeit, die bis zu seiner Verrentung gedauert hatte, nicht nutzen konnte. 

Arbeitnehmer verlangte Urlaubsabgeltung 

Der Arbeitnehmer verlangte daraufhin die Abgeltung des in den Jahren 2004 und 2005 nicht genommenen Jahresurlaubs. Als der Arbeitgeber sich weigerte zu zahlen, zog er vor Gericht. Der EuGH entschied, der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlösche nicht, wenn der fest- gelegte Übertragungszeitraum auslaufe und der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums bzw. eines großen Teils davon krankgeschrieben gewesen sei. Zudem müsse seine Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses fortgedauert haben. Das war ja hier der Fall. 

Die Richter entschieden zudem, dass der Arbeitgeber den nicht genommenen Urlaub abgelten musste. Für die Berechnung der Abgeltung stellten sie folgende Regel auf: Der Arbeitnehmer muss so gestellt werden, als habe er den Anspruch während der Dauer seines Arbeitsverhältnisses ausgeübt. Das heißt: Der Beschäftigte erhält sein gewöhnliches Entgelt. 

Ihre Kolleginnen und Kollegen verlieren ihren Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub also nicht, wenn sie ihn krankheitsbedingt nicht nehmen können. Der Urlaub verfällt erst 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres. 

5. Fall: Übertragungsdauer bei Mutterschutz und Elternzeit 

Hat Ihre Kollegin ihren Urlaub vor Beginn der Mutterschutzfrist bzw. haben ihn Kollegen auch vor der Elternzeit nicht vollständig genommen, können sie den Resturlaub noch in dem Jahr nehmen, in dem die Mutterschutzfrist bzw. die Elternzeit endet, sowie im darauf folgenden Jahr (§ 24 Mutterschutzgesetz, § 17 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz). 

6. Fall: Neue Mitarbeiter 

Neue Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnisse in der 2. Jahreshälfte 2018 begonnen haben, können nach § 7 Abs. 3 Satz 4 BUrlG verlangen, dass ihr Urlaub insgesamt ins nächste Jahr übertragen wird. Es ist also eine Urlaubsübertragung bis zum 31.12.2019 möglich. 

7. Fall: Scheinselbstständigkeit 

Bei Scheinselbstständigen verfällt der Urlaub nie. Scheinselbstständige können ihren Urlaub über die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses übertragen und ansammeln (EuGH, 29.11.2017, Az. C-214/16). Das wurde so in einem in England spielenden Fall entschieden. Der Scheinselbstständige erhielt eine Urlaubsabgeltung für 13 Jahre. 

8. Fall: Wie wird Zusatzurlaub bei rückwirkend fest­ gestellter Schwerbehinderteneigenschaft übertragen? 

Wird die Schwerbehinderteneigenschaft rückwirkend festgestellt, entsteht auch ein rückwirkender Anspruch auf Zusatzurlaub (§ 208 Abs. 3 SGB IX). Hat sich das Verfahren auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft allerdings mehrere Jahre hingezogen, konnte der schwerbehinderte Mitarbeiter bislang nur noch den für das abgelaufene letzte Kalenderjahr rückwirkend entstandenen Zusatzurlaub beanspruchen. Außerdem musste dieser Urlaub dann nach § 7 Abs. 3 BUrlG im laufenden Kalenderjahr bis zum Ende des Übertragungszeitraums genommen werden. 

Inwieweit nun wieder der erste Fall, also die Frage, ob eine Aufklärung über den Urlaubsverfall durch Ihren Arbeitgeber erfolgte, eine Rolle spielt, bleibt abzuwarten. Raten Sie einem betroffenen Kollegen in diesem Fall: Vorsichtshalber sollte er den gesamten offenen Zusatzurlaub geltend machen. 

9. Fall: Urlaubsabgeltung richtig berechnen 

Jetzt geht es um die Bezahlung. Dabei haben Sie 3 Begriffe zu unterscheiden: 

Urlaubsentgelt: Das Urlaubsentgelt ist die „normale Bezahlung“ während des Urlaubs, also letztendlich eine Entgeltfortzahlung. 

Urlaubsgeld: Das Urlaubsgeld zahlt Ihr Arbeitgeber zusätzlich. Dazu kann er aufgrund von Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen oder Regelungen im Arbeitsvertrag verpflichtet sein. Urlaubsgeld kann er auch freiwillig zahlen. 

Urlaubsabgeltung: Eine Urlaubsabgeltung zahlt Ihr Arbeitgeber, wenn er wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen Urlaub mehr gewähren konnte. Aber aufgepasst: Eine Einigung auf eine Ausbezahlung von Urlaubstagen im laufenden Arbeitsverhältnis ist nicht möglich! 

Berechnung des Urlaubsentgelts als Grundlage für die Urlaubsabgeltung

Die Berechnung des gesetzlichen Urlaubsentgelts entnehmen Sie § 11 BUrlG. Auch hier gilt wieder, dass es weitergehende Regelungen insbesondere in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen geben kann. Sie errechnen das Urlaubsentgelt nach dem durchschnittlichen Verdienst, den ein Kollege in den letzten 13 Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat. 

Rechenspiel: Eine Aushilfe hat in den letzten 13 Wochen 2.000 € verdient und 40 Tage gearbeitet. Demnach erhält sie 50 € pro Urlaubs­ tag (2.000 € : 40 Tage). 

Wichtige Merkstütze: Es ist unerheblich, wie viele Stunden pro Tag der Kollege gearbeitet hat! 

Übersicht: Das wird bei Berechnung des durchschnittlichen Verdiensts berücksichtigt 

Dazu gehören:

  • Vergütungen für Bereitschaftszeiten
  • leistungsabhängige Provisionen 
  • tatsächlich erzielte Akkordlöhne und Prämien

Nicht dazu gehören: 

  • Überstunden- und Mehrarbeitsvergütungen sowie deren Zuschläge
  • Weihnachts- und Urlaubsgeld
  • leistungsunabhängige Gewinn-/Umsatzbeteiligungen sowie Gratifikationen 

Ihr Arbeitgeber hat aber auch neben dem durchschnittlichen Verdienst der letzten 13 Wochen in die Zukunft zu schauen: Würden während der Urlaubszeit Überstunden und Mehrarbeit anfallen, dann muss er diese bei der Bemessung des Entgelts berücksichtigen! 

Die konkrete Berechnung der Urlaubsabgeltung 

Sie berechnen nun das Urlaubsentgelt wie zuvor erläutert und multiplizieren es mit den noch abzugeltenden Urlaubstagen. 

Beispiel: Eine Kollegin scheidet am 14.11. durch eine fristlose Kündigung aus Ihrem Unternehmen aus. Zu diesem Zeitpunkt stehen ihr noch 5 Urlaubstage zu. Sie errechnen das Urlaubsentgelt pro Tag und multiplizieren es mit 5 Tagen. Diese Summe ist dann noch als Abgeltung zu zahlen. 

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