14.01.2016

Entschädigungszahlung bei Scheinbewerbung?

Es ist schon ein Ärgernis für sämtliche Beteiligte, wenn auf eine Stellenausschreibung nicht ernst gemeinte Bewerbungen eingehen. Der verständige Beobachter fragt sich: Was soll das? Entweder sind solche Bewerber durch die Bundesagentur für Arbeit gezwungen worden, die Bewerbung loszuschicken, oder sie wollen tatsächlich nur Entschädigungsansprüche aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) kassieren. Sie hoffen dabei einfach, dass Ihr Dienstherr einen
Fehler macht. Nun musste das Bundesarbeitsgericht (BAG) entscheiden, ob solche Scheinbewerbungen überhaupt unter das Gesetz fallen. Um es vorwegzunehmen: Es hat die Frage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt (BAG, 18.6.2015, Az. 8 AZR 848/13 (A)).

Nach § 15 AGG hat der Arbeitgeber und Dienstherr Entschädigung und Schadenersatz bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot zu zahlen. Für Schäden, die nicht als Vermögensschaden zu qualifizieren sind, hat der Arbeitgeber eine Entschädigung zu gewähren. Diese Entschädigung darf allerdings bei einer Nichteinstellung 3 Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

Und genau diese Entschädigungszahlung wollte ein Volljurist erhalten. Er hatte im Jahr 2001 seine Ausbildung abgeschlossen und war seitdem als selbstständiger Rechtsanwalt tätig.

Ein großer Versicherungskonzern veranstaltete nun ein Trainee-Programm, um Nachwuchskräfte einzustellen. Als Anforderungen wurde in der Ausschreibung genannt, dass ein Hochschulabschluss noch nicht länger

  • als 1 Jahr zurückliegen dürfe,
  • der Hochschulabschluss mit einer guten Note bewertet sein müsse,
  • eine qualifizierte berufsorientierte Praxiserfahrung durch Ausbildung, Praktika oder Werkstudententätigkeit vorliegen soll und
  • bei der Fachrichtung Jura zusätzlich eine arbeitsrechtliche Ausrichtung oder medizinische Kenntnisse wünschenswert seien.

Dann traf die Bewerbung des Rechtsanwalts auf diese Stelle im Trainee-Programm ein. Der Rechtsanwalt war der Auffassung, dass er besonders gut geeignet sei, da er früher ein leitender Angestellter einer Rechtsschutzversicherung gewesen sei, über Führungserfahrung verfüge und einen Fachanwaltskurs für Arbeitsrecht besucht habe. Wegen des Todes seines Vaters habe er ein zudem umfangreiches medizinrechtliches Mandat geführt und würde daher im Medizinrecht über einen erweiterten Erfahrungshorizont verfügen. Er sei es gewohnt, Verantwortung zu übernehmen und selbstständig zu arbeiten

Nachdem die Bewerbung des Rechtsanwalts abgelehnt worden war, verlangte er wegen der Ablehnung eine Entschädigung in Höhe von 14.000 €, da er sich wegen seines Alters diskriminiert fühlte.

 

Nach der Entschädigungsforderung wurde er zum Gespräch mit dem Personalleiter eingeladen. Dieses Gespräch lehnte er ab. Er wollte erst das Geld erhalten und dann über seine Zukunft bei dem Versicherungskonzern sprechen.

Letztendlich sollte das BAG über den eingeklagten Entschädigungsanspruch entscheiden. Die Richter konnten und wollten aber nicht entscheiden. Sie legten die Sache dem EuGH vor, durch den sie nun entschieden werden muss. Die Richter des BAG gingen eindeutig davon aus, dass es sich um eine Scheinbewerbung gehandelt hatte. Diese Kenntnis zogen sie aus Formulierungen in der Bewerbung und auch aus dem Verhalten des Rechtsanwalts. Nach deutschem Recht wäre damit für den Rechtsanwalt Schluss gewesen. Denn er war schlicht und ergreifend kein Bewerber und kein Beschäftigter im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG.

Das Problem des Falls: Das Unionsrecht kennt in den einschlägigen Richtlinien nicht den „Bewerber“. Es schützt den „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit“. Daher ist bislang nicht geklärt, ob das Unionsrecht ebenfalls voraussetzt, dass wirklich der Zugang zur Beschäftigung gesucht und eine Einstellung tatsächlich gewollt ist.

Der EuGH ist für diese Auslegungsfrage verantwortlich und muss nun entscheiden, ob alleine das Vorliegen einer formalen Bewerbung genügt. Bejaht der EuGH diese Frage, wird der Anwalt eine Entschädigungszahlung erhalten und das deutsche Recht anzupassen sein.

Bei einer solchen Klage kommt Arbeitnehmern und Bewerbern eine Beweiserleichterung zu. Danach müssen sie lediglich Indizien vorlegen, nach denen eine Diskriminierung vorliegen könnte. Dann hat der Dienstherr zu beweisen, dass kein Verstoß gegen das AGG vorliegt.

Hintergrund: Nach § 1 AGG verfolgt das Gesetz das Ziel, Benachteiligungen

  • aus Gründen der Rasse,
  • wegen der ethnischen Herkunft,
  • des Geschlechts,
  • der Religion oder Weltanschauung,
  • einer Behinderung,
  • des Alters oder
  • der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

 

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