10.10.2019

Wiedereingliederung: mit dem Hamburger Modell zum Ziel

Bei langzeiterkrankten Mitarbeitern wird sehr schnell an ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) gedacht. Es gibt aber auch ein anderes System zur Rückführung in die Arbeitsfähigkeit: eine Wiedereingliederung nach § 74 Sozialgesetzbuch (SGB) V. Schritt für Schritt soll der Beschäftigte zurück ins Arbeitsleben. Diese Wiedereingliederung wird auch Hamburger Modell genannt. Für behinderte Menschen oder von Behinderung bedrohte Menschen finden sich die Regelungen in § 28 SGB IX. Die Begriffe Wiedereingliederung und Hamburger Modell können Sie fast deckungsgleich verwenden. 

Was sind die Vorteile der Wiedereingliederung? 

Hier ist zunächst zu nennen, dass der Arbeitnehmer bei einer Wiedereingliederung schrittweise in seinen Beruf zurückkehrt, also nicht arbeitslos wird. Außerdem behält der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer und muss keinen Ersatz suchen. 

Zudem hat Ihr Dienstherr während der Laufzeit des Hamburger Modells eine kostenlose Arbeitskraft: Denn der Arbeitnehmer ist währenddessen immer noch krankgeschrieben. Also erhält er während der Maßnahme weiterhin Krankengeld oder Übergangsgeld (Oberlandesgericht Köln, 10.1.2014, Az. 20 U 119/13). Dieses wird von der Krankenkasse oder von der Rentenversicherung gezahlt. 

Zusätzlich trägt erfolgreiches BEM von schwerbehinderten Menschen zu gelebter Inklusion im Unternehmen bei.

Betroffene Kollegen sollten das Modell von sich aus vorschlagen, denn sie können damit in das Arbeitsleben zurück. Ihr Dienstherr wird meist zustimmen, weil kein finanzieller Druck auf ihm lastet. Denn er muss während der Wiedereingliederung keinen Lohn zahlen. Im Gegenzug schuldet Ihr Kollege aber auch keine Arbeitsleistung, denn er ist an sich immer noch arbeitsunfähig. Verweigert er aber die Arbeitsleistung grundlos, ist klar, dass die Wiedereingliederung gescheitert ist. Er schneidet sich also ins eigene Fleisch! 

Wie wird die Wiedereingliederung in die Wege geleitet? 

Entweder Ihr Dienstherr oder Ihr Kollege kann das Hamburger Modell vorschlagen. Ihr Kollege muss sich dann mit seinem Arzt abstimmen. Geht dieser davon aus, dass Ihr Kollege seine Tätigkeit teilweise wieder verrichten kann, muss er einen Wiedereingliederungsplan aufstellen. Dabei muss er die Erkrankung und den Genesungsfortschritt Ihres Kollegen berücksichtigen. 

Wichtig! Alles geschieht freiwillig. Weder muss Ihr Dienstherr einem Gesuch des Kollegen zustimmen, noch muss der Kollege sich einem Vorschlag des Dienstherrn fügen. Das unterscheidet die Wiedereingliederung auch vom BEM. Dieses muss Ihr Dienstherr anbieten, wenn Ihr Kollege binnen eines Jahres länger als 6 Wochen am Stück oder wieder- holt arbeitsunfähig war. 

Befindet sich einer Ihrer Kollegen wegen seiner Arbeitsunfähigkeit in Kur, dann sollte er schon während der Kur an die Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell denken und dies vor Ort mit den behandelnden Ärzten beraten. Denn dann kann er die notwendigen Schritte gleich und nicht erst nach seiner Rückkehr in die Wege leiten und verliert keine kostbare Zeit! 

Das sind die Voraussetzungen der Wiedereingliederung 

Die schrittweise Wiedereingliederung eines langzeiterkrankten Kollegen ist unter folgenden Voraussetzungen möglich: 

1. Weitere Arbeitsunfähigkeit 

Der Kollege ist während der Maßnahme weiterhin arbeitsunfähig. Zudem hat er noch einen Geldleistungsanspruch gegenüber der Krankenkasse oder einem Rehabilitationsträger (z. B. Kranken- oder Übergangsgeld). 

An eine Wiedereingliederung wird dann gedacht, wenn der arbeitsunfähige Kollege seine bisherige Tätigkeit nach ärztlicher Feststellung teilweise wieder ausüben kann. Diese eingeschränkte Arbeitsfähigkeit soll genutzt werden, um ihn stufenweise wieder in den Arbeitsprozess einzugliedern. Für die gesamte Dauer des Wiedereingliederungsverfahrens gilt der Kollege aber als arbeitsunfähig – mit der Konsequenz, dass er keinen Arbeitslohn, sondern Entgeltfortzahlung erhält. Sofern die Arbeitsunfähigkeit über den Entgeltfortzahlungszeitraum hinaus besteht, hat der betroffene Kollege dann nur noch einen Anspruch auf Krankengeld der Krankenkasse oder Übergangsgeld. Zudem steht ihm während der Wiedereingliederung auch kein Urlaub zu – Urlaub gibt es während der Arbeitsunfähigkeit nicht. Das heißt aber nicht, dass Ihr Kollege den Urlaubsanspruch verliert. Vielmehr wird dieser ja während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit angespart. 

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) erkennt die stufenweise Wiedereingliederung nicht als Arbeitsverhältnis an. Das heißt für Sie als Mitarbeitervertretung, dass es sich auch um keine personelle Maßnahme handelt, bei der Sie ein Mitbestimmungsrecht haben. Folglich bleiben Sie bei der Entscheidung über die Wiedereingliederung außen vor! 

2. Beide Parteien sind mit der Maßnahme einverstanden 

Wie das BEM kann auch die Wiedereingliederung nur durchgeführt werden, wenn der betroffene Kollege dies auch möchte. Sie ist also freiwillig. Daneben muss auch die Krankenkasse zustimmen. Die sträubt sich in der Regel aber nicht. Denn ein gesunder Arbeitnehmer verursacht ihr weniger Kosten, zahlt f aber seine Beiträge ein. 

Es gibt jedoch gravierende Unterschiede: Ein BEM muss Ihr Dienstherr anbieten. Ihr Kollege hat jedoch keinen Rechtsanspruch auf die Durchführung des Wiedereingliederungsverfahrens. Das heißt, Ihr Dienstherr kann dieses Verfahren auch ablehnen und darauf bestehen, dass der Mitarbeiter erst dann wieder am Arbeitsplatz erscheint, wenn er vollständig arbeitsfähig ist. 

Tipp: Keine Scheu vor der Wiedereingliederung. Bietet Ihr Dienstherr Ihrem Kollegen eine Wiedereingliederung an, sollte dieser sich darauf einlassen. Und auch Sie sollten Ihrem Kollegen zur Wiedereingliederung raten. Denn kommt es später doch einmal zu einer krankheitsbedingten Kündigung, verschlechtert der Kollege bei Ablehnung seine Chancen im Kündigungsrechtsstreit: Ihm war dann wohl nicht an der Erhaltung des Arbeitsplatzes gelegen. 

Wenn der Dienstherr eine Wiedereingliederung nicht anbietet und es dann zu einer krankheitsbedingten Kündigung und einer Kündigungsschutzklage kommt, hat er seine Chancen verschlechtert. Denn er hat nicht alle milderen Mittel vor der Kündigung ausgeschöpft. 

3. Der Arzt stellt einen Wiedereingliederungsplan auf 

Ohne Plan muss sich Ihr Dienstherr nicht auf eine Wiedereingliederung einlassen. Das hat das BAG so entschieden (13.6.2006, Az. 9 AZR 229/05). Der Kollege muss einen Wiedereingliederungsplan von seinem behandelnden Arzt vorlegen, der die folgenden Punkte enthält: 

  • Beginn und Ende des Stufenplans 
  • nähere Angaben zu den einzelnen Stufen (insbesondere Art und Dauer)
  • voraussichtlicher Zeitpunkt der Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit 
  • Rücktrittsrechte und -gründe hinsichtlich der Maßnahme 
  • zu vermeidende Tätigkeiten und Belastungen flankierende Maßnahmen am Arbeitsplatz 

Für die stufenweise Wiedereingliederung schwerbehinderter und gleichgestellter Kollegen gelten besondere Regelungen. Notwendig ist hier die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung, die einen Wiedereingliederungsplan über alle aus ärztlicher r Sicht zulässigen Arbeiten und eine Prognose darüber enthält, ob und wann mit der vollen oder teilweisen Arbeitsfähigkeit zu rechnen ist. Anhand dieser Daten kann Ihr Dienstherr dann entscheiden, ob er der Wiedereingliederung zustimmt oder nicht. 

4. Der Mitarbeiter wird am bisherigen Arbeitsplatz eingesetzt 

Ihr Kollege soll auf seinem Arbeitsplatz eingegliedert werden, nicht auf einem anderen. Eine Wiedereingliederung kann z. B. durch ständige oder zeitlich begrenzte Arbeitszeitreduzierung oder Veränderung bzw. Umbau des Arbeitsplatzes erfolgen. Bei der stufenweisen Wiedereingliederung werden auch die Stufen bezeichnet:

  • Stufe 1: 3 Stunden Arbeit, 
  • Stufe 2: 5 Stunden Arbeit etc.

Getroffen werden ähnliche Maßnahmen, wie Sie sie auch schon vom BEM kennen. 

Wie lange dauert die Wiedereingliederungsmaßnahme? 

Die Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell kann einige Wochen dauern, sich auch bis zu 6 Monaten hinziehen. Haben Ihr Dienstherr und Ihr Kollege eine Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell gestartet und zeichnet sich dann ab, dass die vereinbarte Laufzeit zu kurz war, kann Ihr Dienstherr die Eingliederungsmaßnahme verlängern. Hierzu ist aber wieder die Zustimmung der Krankenkasse notwendig. 

Muss der Arbeitsvertrag angepasst werden? 

Den Arbeitsvertrag muss Ihr Kollege nicht anpassen oder ändern. Denn die Wiedereingliederung lässt das Arbeitsverhältnis unberührt, sie ist eine reine Rehabilitationsmaßnahme. Dem Kollegen soll es so ermöglicht werden, auf seinem bisherigen Arbeitsplatz weiterzuarbeiten. 

Was ist, wenn der Arbeitnehmer sich übernimmt? 

Übernimmt sich der Kollege, kann Ihr Dienstherr die Wiedereingliederung aus gesundheitlichen Gründen abbrechen. Die beiden sollten in diesem Fall vorher unbedingt mit der Krankenkasse sprechen. So bleibt das Ganze ein gemeinsames Projekt: Weder Dienstherr noch Kollege wirken als jemand, der mutwillig und einseitig die Maßnahme abbricht. 

Nimmt hingegen der Kollege seine Chance nicht wahr, ist die Wiedereingliederung gescheitert. Er tut sich damit aber keinen Gefallen. Denn wenn der Dienstherr ihn später krankheitsbedingt entlassen muss, kann dieser darlegen, dass der Arbeitnehmer die ihm gebotenen milderen Mittel ausgeschlagen hat. 

Keine Wiedereingliederung für privat Versicherte 

Das Wiedereingliederungsverfahren gibt es nur für Ihre Kollegen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Privat versicherten Kollegen verbleibt nur das BEM. 

Hamburger Modell und BEM 

§ 167 Abs. 2 SGB IX verpflichtet Ihren Dienstherrn, bei einer Erkrankungsdauer von mehr als 6 Wochen im Zeitraum eines Jahres die Durchführung eines BEM anzubieten. Das BEM dient dazu, weiteren Erkrankungen vorzubeugen und die Betroffenen dauerhaft in das Arbeitsleben wiedereinzugliedern. Dabei sind gemeinsam mit dem Betroffenen alle Optionen zur Wiedereingliederung in Betracht zu ziehen. 

Die stufenweise Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell und das BEM stehen nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr kann das eine Teil des anderen sein. Wenn ein Kollege in der Eingliederungsphase ist, dann kümmern Sie sich gut um ihn und holen Sie ihn psychisch wieder an Bord! 

Fazit: Wiedereingliederung ist sinnvoll 

Ist einer Ihrer Kollegen längere Zeit erkrankt, kann er mit der Wiedereingliederungsmaßnahme gut testen, ob und inwieweit er wieder einsatzfähig sein wird. Beide Seiten – Arbeitgeber und Arbeitnehmer – profitieren davon: Ihr Kollege wird langsam wieder fit und Ihren Dienstherrn kostet das Ganze keinen Cent! 

Weitere Beiträge zu diesem Thema

 

23.10.2017
„Rausschleichen“ aus einer betrieblichen Übung kaum noch möglich

Der Fall: Ein Arbeitgeber hatte jahrelang an seine Betriebsrentner ein Weihnachtsgeld von zunächst 500 DM bzw. 250 € gezahlt. Dieses Extra überwies er immer mit den Versorgungsbezügen für den November – vorbehaltlos. Der... Mehr lesen

23.10.2017
Einmalige Zahlung kann eine gekürzte Rente ausgleichen

Wer seine Altersrente vorzeitig – also vor der gesetzlichen Regelaltersgrenze – in Anspruch nimmt, muss eine Rentenminderung in Kauf nehmen. Für jeden Monat frühere Rente gibt es 0,3 % Abschläge, also 3,6 % für ein Jahr.... Mehr lesen