19.07.2011

Gründung eines Euro-Betriebsrats: So nehmen Sie über die deutschen Grenzen hinaus Einfluss

Wer produziert das … für …? Das ist eine Frage, die sich die Arbeitnehmer länderübergreifend tätiger Betriebe zurzeit ganz besonders häufig stellen. Denn bedingt durch die Finanzkrise fürchten die Beschäftigten europaweit um ihre Jobs. Standortkonkurrenz ist gerade in Krisenzeiten bei vielen Unternehmen zu beobachten.

Und: Wo Standortkonkurrenz beginnt, endet die internationale Solidarität. Das muss nicht sein. Denn letztlich sitzen alle Arbeitnehmer eines Betriebs im gleichen Boot. Es sollte deshalb allen darum gehen, gemeinsam eine sinnvolle Lösung für ein solches Problem zu finden. Damit Sie Ihre Kollegen auch über deutsche Grenzen hinaus tatkräftig unterstützen können, wurde 1994 eine Richtlinie über die Gründung eines Europäischen Betriebsrats abgeschlossen (EBR Richtlinie 94/45/EG). Die wurde jetzt neu gefasst. Die Rechte Ihrer Kollegen aus dem Europäischen Betriebsrat (EBR) wurden darin gestärkt. Was Sie zu diesem Thema wissen müssen, lesen Sie im Folgenden.

Das Wichtigste vorweg: Klar ist, Mitbestimmungsrechte, wie Sie sie als Betriebsrat haben, haben die Arbeitnehmervertreter in einem Europäischen Betriebsrat nicht. Ziel der Gründung eines solchen Gremiums ist es vielmehr, die grenzüberschreitende Information und Anhörung Ihrer Kollegen sicherzustellen.

Denn Sie wissen es selbst: Viele Managemententscheidungen werden in der Konzernzentrale getroffen. Weder Ihr Arbeitgeber noch Sie können darauf Einfluss nehmen. Häufig haben Sie als Betriebsrat noch nicht einmal die Chance, ausreichende Informationen über die Hintergründe zu erhalten.

Das ändert sich, wenn Sie einen Euro-Betriebsrat gründen. In der abzuschließenden Vereinbarung können Sie die Unternehmenszentrale verpflichten, dass sie Sie frühzeitig (also bereits im Planungsstadium) und ausführlich über solche Entscheidungen informiert.

Zudem bietet Ihnen ein Europäischer Betriebsrat die Möglichkeit, mit Ihren Kollegen aus den anderen Arbeitnehmervertretungen gemeinsame Konzepte mit dem Ziel zu entwickeln, auf die unternehmerischen Planungen im Sinne Ihrer Kollegen aus der Belegschaft Einfluss zu nehmen. So manche Misere kann unter Umständen abgewendet werden, wenn Sie sich frühzeitig mit Ihren Kollegen aus den anderen Betrieben vernetzen.

Arbeitsweise des Europäischen Betriebsrats kann relativ frei festgelegt werden

Die Gründung eines Europäischen Betriebsrats ist an verschiedene Voraussetzungen gebunden. Ist es allerdings prinzipiell möglich, ein solches Gremium zu gründen, bleibt Ihren an einer Gründung interessierten Kollegen und der Unternehmensleitung viel Verhandlungsspielraum – zumindest was die Festlegung der Arbeitsweise angeht. In der Regel läuft die Gründung eines Euro-Betriebsrats so ab:

1.    Schritt: Klären, ob überhaupt die Gründung eines Euro-Betriebsrats möglich ist

Zunächst muss geklärt werden, ob überhaupt ein EBR gegründet werden kann. Die Voraussetzungen dafür sind: Es muss sich um ein Unternehmen handeln, das im Europäischen Wirtschaftsraum mehr als 1.000 Beschäftigte hat. Zudem müssen mindestens jeweils 150 Beschäftigte in 2 verschiedenen Ländern arbeiten. Die Arbeitnehmerzahl errechnet sich dabei nach dem Durchschnitt der während der letzten 2 Jahre Beschäftigten.

Wichtig: Der Europäische Binnenmarkt umfasst dabei nicht nur die Mitgliedsländer der Europäischen Union, sondern auch Norwegen, Island und Liechtenstein.
Tipp: Erfüllt Ihr Betrieb die genannten Kriterien, beraten Sie in einer der kommenden Betriebsratssitzungen, ob die Gründung eines EBR für Sie in Frage kommt.

2.    Schritt: Errichtung eines besonderen Verhandlungsgremiums

Das Europäische Betriebsräte Gesetz (EBRG) enthält nur sehr vage Vorgaben über die Struktur und Arbeitsweise des Gremiums. Die unternehmensspezifische Ausgestaltung der Detailfragen wird in der Regel in einer europaweiten Betriebsvereinbarung festgelegt. Haben die Arbeitnehmervertretungen eines Unternehmens grundsätzlich den Entschluss gefasst, einen EBR zu gründen, werden sie im nächsten Schritt den Abschluss einer solchen Vereinbarung anstreben.

Dazu wird meist ein länderübergreifend zusammengesetztes Gremium, das so genannte besondere Verhandlungsgremium, gebildet.

Tipp: Sie als Betriebsrat können die Bildung eines besonderen Verhandlungsgremiums von der Unternehmensleitung verlangen (§ 9 EBRG).

So errichten Sie ein besonderes Verhandlungsgremium

Wollen Sie ein besonderes Verhandlungsgremium gründen, müssen Sie einen Antrag stellen. Dieser muss von mindestens 2 Betriebsräten verschiedener Betriebe in verschiedenen Ländern unterschrieben werden. Alternativ kann er auch von 100 Arbeitnehmern aus mindestens 2 verschiedenen Betrieben in verschiedenen Ländern unterzeichnet werden.

Tipp: Nehmen Sie unbedingt vorher direkten Kontakt zu den ausländischen Belegschaftsvertretungen auf. Denn stellen Sie den Antrag, ohne vorher die wichtigsten Eckpunkte mit Ihren ausländischen Kollegen abgeklärt zu haben, kann es passieren, dass Sie bis zum Zeitpunkt des Auslaufens der Frist (6 Monate nach Antragstellung) noch keine Einigung erzielt haben. Das hat dann zur Folge, dass der EBR kraft Gesetzes nach den Mindestvorschriften der Richtlinie gebildet wird (§ 21 EBRG). Das ist in der Regel ungünstiger für Sie und Ihre Kollegen.

Schriftlicher Antrag muss sein

Ein solcher Antrag muss zudem schriftlich gestellt werden. Und zwar möglichst bei der Konzernzentrale. Reichen Sie ihn bei Ihrem Arbeitgeber ein, muss dieser ihn an die Unternehmenszentrale weiterleiten.

Tipp: Sollte die Konzernleitung innerhalb von 6 Monaten nicht auf einen solchen Antrag reagieren, kann ein EBR nach den §§ 22, 23 EBRG errichten. Danach muss aus jedem Mitgliedstaat ein Arbeitnehmervertreter entsandt werden. Und zwar je nach Organisation des Unternehmens entweder aus dem Konzernbetriebsrat, wenn der nicht vorhanden ist, aus dem Gesamtbetriebsrat, und wenn es den auch nicht gibt, aus dem Betriebsrat.

3.    Schritt: Einberufung der konstituierenden Sitzung

Steht fest, wer dem besonderen Verhandlungsgremium angehören soll, lädt die Konzernleitung zur konstituierenden Sitzung ein (§ 13 EBRG). In dieser wird der Vorsitzende gewählt. Zudem kann sich das besondere Verhandlungsgremium eine Geschäftsordnung geben. Wichtig: Obwohl die zentrale Unternehmensleitung an dieser Sitzung teilnimmt, hat sie kein Stimmrecht.

4.    Schritt: Die weiteren Sitzungen des besonderen Verhandlungsgremiums

In den weiteren Sitzungen des besonderen Verhandlungsgremiums wird ein Vereinbarungsentwurf erarbeitet.

5.    Schritt: Abschluss einer Vereinbarung über das Gründen eines EBR

Das besondere Verhandlungsgremium handelt mit der Konzernzentrale eine schriftliche Vereinbarung über die Errichtung eines Europäischen Betriebsrats aus

Dabei haben die Verhandlungspartner weitgehend freie Hand. Sie können Vereinbarungen abschließen, die über dem gesetzlichen Mindestniveau liegen. Allerdings ist es auch möglich, eine Vereinbarung abzuschließen, die die gesetzlichen Mindestnormen nicht erfüllt.

Tipp: Weder Ihr Arbeitgeber noch die zentrale Unternehmensleitung wird von der Gründung eines EBR begeistert sein. Dabei spielen vor allem die Kosten und der fehlende Umgang mit Arbeitnehmervertretern aus anderen Kulturkreisen eine Rolle.

Aber auch die Tatsache, dass strategische Maßnahmen nicht mehr unbeobachtet und losgelöst von der Arbeitnehmerseite erfolgen können, ruft Skepsis hervor.

Vermitteln Sie der Geschäftsführung, dass sie auch in erheblichem Maße von den Arbeitnehmervertretern profitiert. Denn dadurch bekommt sie ein manchmal unbequemes, aber realistisches Feedback, was sich in den einzelnen Landesgesellschaften abspielt. Ein solches ist unverzichtbar, wenn die zentrale Unternehmensleitung an der gesunden Entwicklung des Unternehmens interessiert ist.

Wollen Sie einen Europäischen Betriebsrat gründen, so müssen Sie die Unternehmensleitung darüber unterrichten. Wie Sie das am besten machen, lesen Sie in diesem Muster-Schreiben.

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