Frage: „Wir wollen in unserem Unternehmen ein Betriebliches Eingliederungsmanagement, kurz BEM, einführen. Die Geschäftsführung bekräftigt das Bestreben, dies in Form einer Betriebsvereinbarung tun zu wollen. Meine Frage:
Ist der Betriebsrat bei Einführung eines BEM zwingend zu beteiligen oder kann der Arbeitgeber dies auch im „Alleingang“ tun?“
Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) könnte man als eine Art innerbetriebliches Gesundheitssystem bezeichnen: Stellt Ihr Arbeitgeber fest, dass ein Mitarbeiter immer wieder oder über längere Zeit hinweg erkrankt ist, soll mit innerbetrieblichen Mitteln versucht werden, die Gesundheit bzw. die Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen. Somit steht das BEM quasi zwischen Prävention und Nachsorge.
§84 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) regelt eine Pflicht Ihres Arbeitgebers zur Durchführung des BEM. Er muss also, ob er will oder nicht. Das ist gut. Denn Gesunderhaltung heißt Umsetzung von Arbeitsschutzmaßnahmen und Sicherung des Arbeitsplatzes. Zudem hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) Klarheit geschaffen: Das Betriebliche Eingliederungsmanagement ist quasi Pflicht für alle Arbeitgeber (12.7.2007, Az. 2 AZR 716/06). Auch in Kleinbetrieben.
Der Gesetzgeber verfolgt mit dem BEM 3 Ziele:
Sinn und Zweck des BEM ist es, umgehend zu klären, wie sich die Arbeitsunfähigkeit überwinden lässt und damit Fehlzeiten verringert werden können. Ferner, mit welchen Hilfen und Leistungen einer erneuten Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt, der Arbeitsplatz erhalten werden kann und die Fähigkeiten des Arbeitnehmers weiter genutzt werden sowie eine erhöhte Einsatzfähigkeit und Produktivität sichergestellt werden können.
Beispiel: Herr Meier war 2011 13 Wochen krankgeschrieben – Bandscheibenvorfall. Von Haus aus ist Herr Meier Gabelstaplerfahrer. Diesen Beruf kann er nicht mehr in Vollzeit ausüben. Sein Arbeitgeber lässt ihn deswegen nur noch 3 Stunden am Tag fahren. Den Rest des Tages arbeitet Herr Meier nun in der Logistik. Hierzu hat er eine Fortbildung auf Kosten des Arbeitgebers erhalten.
Nach dem Wortlaut des §84 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) können Sie als Betriebsrat die Durchführung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements verlangen. Gemäß §84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX wachen Sie auch darüber, dass Ihr Arbeitgeber seine Verpflichtungen erfüllt. Kommt also Ihr Arbeitgeber Ihren Forderungen nicht nach, können Sie dies über das Arbeitsgericht erzwingen.
Dieses Initiativrecht wird ferner abgedeckt durch §93 SGB IX („Aufgaben des Betriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwalts- und Präsidialrats“). Hier steht ganz klar, dass es Aufgabe der Betriebsräte ist, die Durchführung des §84 SGB IX zu überwachen.
Ohne Ihre Beteiligung darf Ihr Arbeitgeber kein Betriebliches Eingliederungsmanagement einführen. Sie sind in jedem Fall zu beteiligen. Mein Rat an Sie ist, eine Rahmenvereinbarung zu schließen, die Ihren Arbeitgeber verpflichtet, im konkreten Fall ein Eingliederungsmanagement durchzuführen.
Sie können sich dabei auf folgende Tatbestände im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) stützen:
Generell gilt, dass Sie immer beteiligt werden müssen, wenn es um die Ordnung im Betrieb geht, §87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Dieses erzwingbare Mitbestimmungsrecht besteht auch, wenn das Verhalten der Mitarbeiter betroffen ist. Ein zentraler Teil des Betrieblichen Eingliederungsmanagements könnten beispielsweise Krankenrückkehrgespräche sein, die systematisch – also nicht nur im Einzelfall – bei allen genesenen Mitarbeitern geführt werden sollen.
Achtung! Allerdings haben Sie nur dann ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht, wenn es sich um formalisierte und systematische Gespräche handelt. Es besteht also nicht grundsätzlich ein Mitbestimmungsrecht. Handelt es sich um formalisierte Krankenrückkehrgespräche mit einer nach abstrakten Kriterien ermittelten Mehrzahl (bei jedem, der 3 Wochen krank war) von Mitarbeitern, liegt ein mitbestimmungspflichtiger Tatbestand im Sinne des §87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG vor (Bundesarbeitsgericht, 8.11.1994, Az. 1 ABR 22/94). In diesem Fall geht es um das Verhalten der Mitarbeiter in Bezug auf die betriebliche Ordnung.
Ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht haben Sie auch bei Regelungen über den Gesundheitsschutz, §87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG.
Neben den gesetzlichen Ansprüchen, die Ihr Arbeitgeber berücksichtigen muss, können Sie außerdem mit folgenden Vorteilen argumentieren, um den Arbeitgeber zu überzeugen:
Sie sehen, mit dem Betrieblichen Eingliederungsmanagement gewinnen alle Seiten!
Werden Sie sich mit Ihrem Arbeitgeber nicht einig bzw. handelt er nicht, können Sie Ihre Initiativ-, Kontroll- und Mitbestimmungsrechte auf dem Weg über die Einigungsstelle (nach §87 Abs. 2 in Verbindung mit §76 BetrVG) sowie arbeitsgerichtliche Verfahren durchsetzen. Das ist zwar ärgerlich und sorgt nicht für gute Stimmung, aber Ihr Arbeitgeber hat Ihnen dann keine andere Wahl gelassen.