14.10.2019

Teilzeit wegen teilweiser Erwerbsminderung beim bisherigen Arbeitgeber und dauerhafte Rente

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg hat einer Klage auf Weiterbeschäftigung in Teilzeit auch nach Bewilligung einer dauerhaften Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung stattgegeben. Es verurteilte den Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung der schwerbehinderten Pförtnerin in der gewünschten Teilzeit (LAG Berlin-Brandenburg, 23.1.2019, Az. 15 Sa 1021/18). 

Zu prüfen waren komplexe rechtliche Fragen im Zusammenhang mit § 33 Abs. 2 Tarifvertrag öffentlicher Dienst der Länder (TV-L). Der öffentliche Arbeitgeber hatte das Arbeitsverhältnis zum 31.7.2015 für beendet erklärt, als der Pförtnerin eine unbefristete teilweise Erwerbsminderungsrente zugesprochen wurde. 

Die Pförtnerin wollte gerichtlich klären lassen, dass das Arbeitsverhältnis nicht beendet sei. Es fehle schon die notwendige Zustimmung des Integrationsamts. Das Land sei verpflichtet, sie ab Februar 2017 mit 19 Wochenstunden zu beschäftigen. Dies ergebe sich aus dem ärztlichen Gutachten vom 24.4.2017. Vor Eintritt der dauerhaften vollen Erwerbsminderung hatte die Arbeitnehmerin als Pförtnerin mit 24,3 Wochenstunden jeweils in 8-Stunden-Schichten gearbeitet. 

Die Argumente des Arbeitgebers 

Der Arbeitgeber hingegen vertrat die Ansicht, dass das Arbeitsverhältnis auf Basis von § 33 TV-L durch das Schreiben vom 9.5.2015 beendet sei. Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bestehe nicht. Die Verkürzung der Schichtlänge im Pförtnerdienst sei nicht möglich. Auch für Teilzeitkräfte betrage die Schichtzeit 8 Stunden. 

Ein von der Arbeitnehmerin gewünschter Teilzeitarbeitsplatz mit einem täglichen Einsatz von weniger als 8 Stunden sei nicht vorhanden. Bei einer berlinweiten Abfrage seien keine freien Stellen gemeldet worden. Im Übrigen argumentierte der Arbeitgeber auch damit, dass die Rentenbewilligung als teilweise Erwerbsminderungsrente auch eine längere Schicht an einzelnen Wochentagen ausschließe. 

Das Urteil behandelt die Verknüpfung schwieriger Rechtsmaterien

Aus dem Tarifrecht:
§ 33 Abs. 2 und 3 TV-L: Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Kündigung bei Erhalt einer Rente wegen Erwerbsminderung 

Aus SGB IX:
§ 164 Abs. 3 Abs. 4 Ziff. 4 und § 164 Abs. 5 SGB IX – ausgewählte Fragen der Rechte schwerbehinderter Menschen und Pflichten der Arbeitgeber: behinderungsgerechte Arbeitsorganisation und Teilzeit wegen der Behinderung 

§ 175 SGB IX – erweiterter Beendigungsschutz: „Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen bedarf auch dann der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts, wenn sie im Fall des Eintritts einer teilweisen Erwerbsminderung, der Erwerbsminderung auf Zeit, der Berufsunfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit auf Zeit ohne Kündigung erfolgt. Die Vorschriften dieses Kapitels über die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung gelten entsprechend.“ 

Aus SGB VI (Rentenrecht):
§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI: „Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.“ 

Die rechtliche Auslegung, ob eine geringe Überschreitung dieser gesetzlichen 6-Stunden-Grenze an weniger als 5 Tagen pro Woche schon rentenschädlich ist, prüft das LAG in diesem Urteil nur sehr summarisch. Es wird nur eine vorläufige juristische Bewertung gegeben. 

Die Richter gaben der Arbeitnehmerin recht 

Der Arbeitgeber wird verpflichtet, die Pförtnerin mit 19 Wochenstunden – verteilt auf 3 Tage die Woche – als Mitarbeiterin mit Tätigkeiten entsprechend der Entgeltgruppe 3 des TV-L in Berlin zu beschäftigen. Durch das insofern hier nicht weiter angegriffene Urteil vom 18.4.2018 steht fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst worden ist. Die Arbeitnehmerin ist weiter beim Arbeitgeber angestellt. 

Daraus ergibt sich nun der besondere Anspruch auf Teilzeittätigkeit nach § 164 Abs. 5 Satz 3, Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1 und 4 Sozialgesetzbuch (SGB) IX. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) kann ein schwerbehinderter Mensch jederzeit und ohne Bindung an Formen und Fristen verlangen, in einem seiner Behinderung Rechnung tragenden zeitlichen Umfang eingesetzt zu werden. Es bedarf daher keiner vorhergehenden Vertragsänderung (BAG 14.10.2003, Az. 9 AZR 100/03). 

Insofern ist ein Arbeitgeber nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGB IX auch zu einer Umgestaltung der Arbeitsorganisation verpflichtet. Eine solche Pflicht besteht jedoch dann nicht, wenn dem Arbeitgeber die Beschäftigung unzumutbar oder eine solche nur mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen verbunden ist, §164 Abs. 4 Satz 3 SGB IX. In dem Fall ist ein Arbeitgeber nicht verpflichtet, für den schwerbehinderten Menschen einen zusätzlichen Arbeitsplatz einzurichten. 

Die Richter am LAG Berlin-Brandenburg nehmen in ihrem Urteil vom 23.1.2019 ausdrücklich Bezug zu diesen zentralen Aussagen des entsprechenden Urteils des BAG. Der Arbeitgeber kann sich nicht darauf berufen, dass ihm der von der Arbeitnehmerin begehrte Einsatz als Teilzeitkraft nicht zuzumuten wäre. Auch unverhältnismäßige Aufwendungen sind nicht erkennbar (§ 164 Abs. 4 Satz 3 SGB IX). 

Der Hinweis, bei dem hiesigen Landesbetrieb würden Pförtnerdienstleistungen auch von Teilzeitkräften durchgängig und ausschließlich in einer 8-stündigen Schicht erbracht, reicht insofern nicht aus. Zudem ist die Arbeitnehmerin in der Lage, solche Schichten zu leisten, hierzu liegt ein Gutachten vor. 

Auch Veränderung der Arbeitsorganisation ist dem Arbeitgeber hier zumutbar

Zur zumutbaren Arbeitsorganisation führt das LAG Berlin-Brandenburg aus, dass es für das beklagte Land zumutbar wäre, „eine verkürzte Schichtzeit der Klägerin hinzunehmen. Nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 haben schwerbehinderte Menschen gegenüber ihrem Arbeitgeber auch einen Anspruch auf eine veränderte Gestaltung der Arbeitsorganisation. Dazu gehört auch eine entsprechende Schichteinteilung. Technisch ist es sehr wohl möglich, die vorhandenen 16 Teilzeitkräfte in Ergänzung zu den jeweiligen Stundenzahlen einzusetzen, die von der Klägerin zu leisten sind.“ 

Der Arbeitgeber habe auch nicht vorgetragen, dass dies rechtlich nicht möglich wäre. Auch ein langjähriger Einsatz von Arbeitnehmern in einem bestimmten Schichtsystem oder einer bestimmten Schichtdauer führe nicht dazu, dass dies nicht per Direktionsrecht verändert werden könnte. 

Fazit: Vorteilhaftes Urteil für Ihre Kollegen 

Aus meiner Sicht ist das ein sehr positives Urteil für schwerbehinderte Menschen, die dauerhaft eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erhalten. Das Urteil nimmt nun leider keinen ausdrücklichen Bezug auf die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK). Die Richter urteilten aber ganz im Sinne des Art. 27 UN-BRK (Arbeit und Beschäftigung). 

Mit diesem UN-BRK-Artikel sollen gleiche Rechte von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit sichergestellt werden. Dieses Recht auf Arbeit beinhaltet die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird. Die Vertragsstaaten haben die Verwirklichung dieses Rechts auf Arbeit zu sichern und fördern. 

Praxistipp: Betroffene aufklären. Achten Sie darauf, wie die Antragstellung auf Erwerbsminderungsrente bei Ihren schwerbehinderten Kolleginnen und Kollegen verläuft. Suchen Sie das Gespräch mit dem Betroffenen und fragen Sie, ob er irgendeine Form der Weiterarbeit bzw. des Zuverdienstes anstrebt. Falls ja, klären Sie die betrieblichen Möglichkeiten. 

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