12.10.2017

Ein Blick auf die soziale Situation: Werden die Beschäftigten in einer WfbM fair behandelt? Vergleichen Sie als SBV kritisch!

Die Aufgaben einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) sind in § 136 Sozialgesetzbuch (SGB) IX beschrieben und geregelt. WfbM in der Bundesrepublik Deutschland sind keine klassischen Erwerbsbetriebe, sondern Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation.

Werkstattarbeit ist nicht mit Erwerbsarbeit vergleichbar

Die Werkstattarbeit besteht zum einen aus den Eingliederungsleistungen der Fachkräfte und zum anderen aus der wertschaffenden Arbeit der Werkstattbeschäftigten. Jene Arbeit wird von den Fachkräften und Leitungen der WfbM begleitet, pädagogisch betreut, individuell gestaltet und therapeutisch kompensiert. Werkstattarbeit ist aus diesen Gründen eine komplexe Dienstleistung.

Die Umsatzmaximierung steht nicht im Vordergrund der Werkstattarbeit. Durch die umfassende berufliche und persönliche Begleitung reduziert sich die Arbeits- bzw. Beschäftigungszeit. Selbstverständlich ist auf das Leistungsvermögen der Werkstattbeschäftigten zu achten. Überlastungen verbieten sich von selbst.

Persönlichkeitsstärkung und Bildung im Interesse der Werkstattbeschäftigten

Eine WfbM soll eine angemessene berufliche Bildung anbieten. Die vorhandene Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit der dort beschäftigten Menschen soll erhalten, entwickelt, erhöht oder wieder-gewonnen werden. Darüber hinaus soll die Persönlichkeit der Betroffenen gestärkt und entwickelt werden. Ferner soll die WfbM eine behindertengerechte Beschäftigung nach dem jeweils entsprechenden Leistungsvermögen eines Menschen mit Behinderung anbieten.

Der Durchschnittslohn variiert stark

Kritiker aus den bundesweit aktiven Selbsthilfegruppen geben zu bedenken, dass der Staat jeden Arbeitsplatz in den WfbM mit etwa 13.800 € pro Jahr fördert. Die Beschäftigten erhielten vor Inkrafttreten des BTHG einen durchschnittlichen Mindestlohn pro Monat von nur 185 €.

Diese 185 € sind aber nur eine statistische Größe, denn die Durchschnittsverdienste differieren stark. So gibt es WfbM, die ihren Beschäftigten 600 € zahlen, weil sie bessere Umsätze erzielen. Dies kann daraus resultieren, dass der Betreuungsbedarf der Werkstattbeschäftigten je nach Betrieb geringer oder höher ist.

Das geltende Recht schreibt den WfbM vor, dass sie mindestens 70 % ihres erwirtschafteten Arbeitsergebnisses an die Werkstattbeschäftigten auszuzahlen haben. Im Rahmen des neuen BTHG erhalten die Beschäftigten ein erhöhtes Arbeitsförderungsgeld von 52 € (vormals 26 €).

So steht es um die Sozialleistungen

Allerdings haben Menschen mit einer Behinderung bereits nach 20 Jahren Tätigkeit in einer WfbM Anspruch auf Rentenzahlung, die über eine fiktive Größe berechnet wird, nämlich 80 % des durchschnittlichen Verdienstes aller Rentenversicherten. Die Werkstattbeschäftigten werden unabhängig von der geringen Bezahlung wie andere Arbeitnehmer unfall-, kranken-, pflege- und rentenversichert.

Mitbestimmung und Mitwirkung gestärkt

Die Neuerungen im Rahmen des BTHG bedeuten Verbesserungen hinsichtlich der Mitwirkung und Mitbestimmung. Im Zuge des BTHG wurde die Werkstätten-Mitwirkungsverordnung (WMVO) im Sinne der Menschen mit Behinderung in WfbM deutlich verbessert: Werkstatträte sollen vor allem mehr Einfluss auf

  • Arbeitszeit,
  • Arbeitsentgelte,
  • technische Einrichtungen,
  • Weiterbildung oder soziale Aktivitäten
  • sowie konkrete Rechte bekommen.

Besonderer Schutz von Frauen mit Behinderung

Außerdem wird es künftig in jeder WfbM eine Frauenbeauftragte geben. Denn Frauen mit Behinderungen, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe leben oder arbeiten, werden besonders häufig Opfer von Gewalt. Frauenbeauftragte sind für sie eine Anlaufstelle. Gleichzeitig kann das Vorhandensein von Frauenbeauftragten präventiv wirken. In der neuen Fassung des WMVO sind die Wahlen und Rechte der Frauenbeauftragten in einer WfbM geregelt.

Der Werkstattrat: So wird die Mitbestimmung praktiziert

Die WMVO basiert auf § 144 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) IX – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. Die WMVO regelt die Mitwirkung der Beschäftigten in WfbM. Wahlberechtigt sind nach WMVO Abschnitt 2, § 10 alle Werkstattbeschäftigten, soweit sie keine Arbeitnehmer sind.

Die Verordnung enthält insbesondere Regelungen zur Wahl des Werkstattrats, zu seiner Amtszeit und seinen Aufgaben sowie Unterrichtungsrechten. Werkstatträte wirken anstelle der Betriebs- und Personalräte wie in Unternehmen bzw. im Öffentlichen Dienst.

Der Werkstattrat besteht nach der WMVO aus mindestens 3 Mitgliedern, in WfbM mit in der Regel 200 bis 400 Wahlberechtigten aus 5 Mitgliedern, in Werkstätten mit mehr als 400 Wahlberechtigten aus 7 Mitgliedern. Frauen und Männer sollen anteilig im Rat vertreten sein. Der Rat ist nach § 29 WMVO 4 Jahre im Amt.

Diese 7 Hauptaufgaben der Mitwirkung hat der Werkstattrat

  1. Darstellung und Verwendung des Arbeitsergebnisses
  2. Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten, Gesundheitsschutz und Prävention
  3. Weiterentwicklung der Persönlichkeit und Förderung des Übergangs auf den allgemeinen Arbeitsmarkt
  4. Gestaltung von Arbeitsplätzen, Arbeitskleidung, Arbeitsablauf, Arbeitsumgebung sowie von Sanität und Aufenthaltsräumen
  5. Dauerhafte Umsetzung Betroffener auf einen anderen Arbeitsplatz
  6. Verpflegung der Mitarbeiter
  7. Planung von Um- und Neu-, Erweiterungsbauten, Verlegung der Werkstatt

Im neu gefassten § 5 WMVO hat der Werkstattrat diese Mitbestimmungsrechte

  1. Angelegenheiten der Werkstattordnung
  2. Arbeitszeiten, Verkürzung oder Verlängerung
  3. Arbeitsentgelte (Entlohnungsgrundsätze und Steigerungsbeiträge)
  4. Grundsätze für den Urlaubsplan
  5. Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen mit dem Ziel, das Verhalten oder die Leistungen der Beschäftigten zu überwachen
  6. Fort- und Weiterbildung
  7. Soziale Aktivitäten der Beschäftigten

Der Werkstattrat prüft, ob die WfbM ihrer besonderen Fürsorgepflicht gegenüber ihren Beschäftigten nachkommt. Er hat ferner die Aufgabe, Anregungen und Beschwerden von Werkstattbeschäftigten aufzugreifen und an den Arbeitgeber weiterzuleiten. Die Bearbeitung und den Fortgang von Beschwerden hat der Werkstattrat zu verfolgen und auf die Erledigung hinzuwirken. Außerdem hat der Werkstattrat den Auftrag, die Beschäftigten über den Stand und das Ergebnis der Verhandlungen zu unterrichten.

Einigkeit macht stark

Die Werkstatträte sind bundesweit in einem Interessensverband organisiert. Die Bundesgemeinschaften der Werkstätten (BVWR), kurz Werkstatträte e. V., haben ihren Sitz in Berlin. Der 5-köpfige Vorstand setzt sich vor allem für eine Verbesserung der Rechte der Räte ein. Ein besonderes Anliegen wurde dem BVWR durch das neue BTHG erfüllt: eine gesicherte Finanzierung der Räte in den WfbM. Damit ist eine kontinuierliche Arbeit für Beschäftigte und deren Angehörige gewährleistet.

Fazit

Die Rechte der Werkstatträte und die der Werkstattbeschäftigten wurden durch das BTHG ausgebaut und verbessert. Setzen Sie sich, wo immer Sie können, für weitere Rechte für Werkstatträte ein.

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