18.01.2019

Helfen Sie, Scheitern in der Berufsausbildung zu vermeiden

Das nachfolgende Beispiel einer gescheiterten Berufsausbildung ereignete sich 2017 in einem Großbetrieb, der auch am „Inklusionsprojekt zur gemeinsamen Ausbildung von Jugendlichen mit und ohne Behinderung“ (InkA) beteiligt war. Der schwerbehinderte Jugendliche hatte im Jahr 2016 als Inklusionsschüler an einer Gesamtschule den mittleren Schulabschluss mit dem Notendurchschnitt 2,3 erworben. In den Klassen 5 bis 10 hatte er wegen seiner psychischen Behinderung einen vollzeitlichen Schulassistenten. 

Der Jugendliche hatte sich langjährig in Richtung einer Tätigkeit bei einem großen Logistikunternehmen orientiert. Ein Schülerpraktikum in einem anderen Betrieb – nicht dem späteren Ausbildungsbetrieb – stärkte seine Orientierung. Für seinen Traumberuf „Lokführer“ scheiterte er zwar im Online-Aufnahmetest. Eine Bewerbung für eine Ausbildung in einem technischen Beruf bestand er im Online-Verfahren und den nachfolgenden telefonischen bzw. persönlichen Gesprächen ohne jede Hilfe. Er bekam aus eigener Anstrengung den gewünschten Ausbildungsvertrag. Der Auszubildende hatte dem Unternehmen den Schwerbehindertenbescheid mit der Bezeichnung der Behinderung zur Kenntnis gegeben. Obwohl das Unternehmen durchaus grundsätzlich in Sachen Inklusion engagiert ist, hatte diese Information jedoch keinerlei Reaktion oder Aktivität ausgelöst. Die Verantwortlichen hatten weder einen Lohnkostenzuschuss beantragt noch vorsorglich geklärt, ob eine externe Hilfe nötig und möglich wäre. 

Hinweis: Kompetenz in Sachen Inklusion – hier Fehlanzeige.  Das Unternehmen hat an dem oben vorgestellten Modellprojekt InkA des UnternehmensForums teilgenommen. Scheinbar sind die Erfahrungen dieses geförderten Projekts nur sehr begrenzt im Unternehmen verbreitet worden. Im Fall dieses Jugendlichen war jedenfalls von ausbildungsplanerischer Kompetenz in Sachen Inklusion kaum etwas zu merken. 

Ausbildung scheiterte in den ersten 6 Wochen 

Nach einer 2-wöchigen Ersteinweisung im Ausbildungsbetrieb sollte die Ausbildung in den ersten 9 Monaten planmäßig in der ca. 100 km entfernten überregionalen Ausbildungswerkstatt stattfinden. Schon die betriebliche Ersteinweisung verlief ungünstig: In der ersten Woche fand der Jugendliche zwar guten Anschluss an die Kollegen. Beim Wechsel in ein anderes Team nach einer Woche traten aber die ersten kommunikativen Probleme auf. Das Team lehnte den Jugendlichen ab. 

Es fand deshalb ein Gespräch beim Ausbildungsleiter statt – mit der Jugend- und Auszubildenden- sowie der Schwerbehindertenvertretung. Beide hatten zur Vorbereitung dieses Gesprächs nicht mit dem Jugendlichen, sondern nur mit den Kollegen der 2. Woche gesprochen. Sie trafen den Jugendlichen erstmals in der Besprechung beim Ausbildungsleiter! Die Kommentare des Jugendlichen in dieser Runde, dass er von den Tätigkeiten der ersten Wochen eher enttäuscht sei, beantworteten der Ausbildungsleiter, der Jugendvertreter und die Schwerbehindertenvertretung gleichlautend mit: „Da mussten wir alle durch.“ Auf den Jugendlichen wollte keiner weiter eingehen. Die Berufsschulphase verlief dagegen besser als erwartet. Den Jugendlichen strengten die langen Tage mit weitem Schulweg zwar sehr an, er fand aber einen Draht zur Mehrzahl der Lehrer. 

Der raue Ton eines Ausbilders schädigte die Motivation des Auszubildenden massiv

Der Super-GAU unterlief dann am ersten Tag in der Ausbildungswerkstatt. Obwohl der Vater des Jugendlichen in einem vorbereitenden Telefonat auf die besondere behinderungsbedingte Verletzlichkeit des Jugendlichen hingewiesen hatte, war der Umgangston dort sehr rau. So erklärte der Ausbilder bereits am ersten Tag 2-mal, dass der Jugendliche die Ausbildung abbrechen müsse, wenn er bestimmte Anforderungen nicht erfülle. 

Der Auszubildende überstand den Tag zwar ohne impulsives Fehlverhalten, war aber danach nicht mehr dazu zu bewegen, die Ausbildungswerkstatt weiter zu besuchen. Schlichtungsversuche von verschiedener Seite des Unternehmens blieben erfolglos. Der Vater versuchte, das Integrationsamt und die Agentur für Arbeit zu gewinnen, um Unterstützung zu erhalten, was leider zeitnah nicht möglich war. Das Unternehmen hatte diese Einwerbung externer Unterstützung nicht einmal versucht. 

Das Scheitern und die persönlichen Folgen für den Auszubildenden

Das Unternehmen schloss mit dem Azubi einen Aufhebungsvertrag. Auch jetzt, ein Jahr später, ist der Jugendliche noch arbeitslos bzw. sucht eine Ausbildungsstelle. Die Enttäuschung über den Misserfolg beim vormaligen „Traumarbeitgeber“ lähmt seine Bereitschaft für einen neuen Ausbildungsversuch anderswo. Das Selbstvertrauen ist deutlich und zumindest längerfristig stark erschüttert. 

Praxistipp: Wie können Sie die Berufsausbildung Jugendlicher unterstützen? Einem großen Teil der schwerbehinderten Jugendlichen fällt die soziale Eingliederung in eine betriebliche Ausbildung nicht leicht. Ihr Selbstvertrauen ist wegen der Behinderung oft nicht so stabil, ihre persönliche Verletzlichkeit größer als bei vielen anderen Jugendlichen. Vorsicht und Rücksichtnahme besonders in den ersten Monaten sind kein „In-Watte-Packen“, sondern ein oft – nicht immer – notwendiger Schritt in Richtung Inklusion. 

Bereiten Sie insbesondere den Betriebsrat und die Jugend- und Auszubildendenvertretung auf die Möglichkeit dieser besonderen Herausforderung eines solchen Ausbildungsverhältnisses vor. Vor allem bei Ausbildungsstart – meist mindestens in der gesamten Probezeit – bedarf es mehr oder minder besonderer Unterstützung in diesem Punkt. Wirken Sie auf Ihren Arbeitgeber ein, dass er alle an der Ausbildung betrieblichen Beteiligten der ersten Wochen vorbereitet – z. B. mithilfe eines kompetenten Integrationsfachdiensts. 

Als vielleicht wichtigste Unterstützungsmaßnahme: Suchen Sie möglichst früh den persönlichen Kontakt mit dem Jugendlichen. Vermitteln Sie ihm, dass Sie ihn unterstützen wollen. Auch wenn Sie ihn manchmal kritisieren müssen, machen Sie ihm immer klar, dass Sie an seinem Erfolg interessiert sind. Der Jugendliche braucht Rückhalt; gut wäre es für ihn, auch im Arbeitsteam von einem der Kollegen verbindlich unterstützt zu werden. In manchen Betrieben wird das zutreffend Mentor oder Ausbildungspate genannt. 

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