Die Diskussion um einen inklusiven Arbeitsmarkt wird aktuell aus einer politischen Ecke befeuert, die Sie als Schwerbehindertenvertretung nicht jeden Tag beobachten: der UN-Staatenprüfung und dabei besonders der Diskussion um die zukünftige Richtung der Entwicklung der deutschen Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM).
Zentrale Frage ist: Können die WfbM so weiterentwickelt werden, dass sie Teil eines inklusiven Arbeitsmarkts werden? Die UN-Kommission hat das in der ersten Staatenprüfung 2015 strikt verneint. Sie verlangt, alle WfbM schnell aufzulösen.
Diese UN-Position ist weltfremd. In Deutschland sind aktuell 310.000 behinderte Menschen in WfbM beschäftigt. Das ist eine große Zahl – auch gemessen an der Zahl der schwerbehinderten Arbeitnehmer bei Arbeitgebern des ersten Arbeitsmarkts (2015/2016: ca. 1,22 Millionen). Die Zahl der WfbM-Beschäftigten entspricht also fast 1/4 der Zahl der Schwerbehinderten auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Allein diese Zahlen zeigen schon, dass eine „schnelle Abschaffung“ der WfbM wohl eher zu Massenarbeitslosigkeit der heute dort Beschäftigten führen dürfte. Verbesserte Übergangsmöglichkeiten von der WfbM in den ersten Arbeitsmarkt sind aber schon möglich.
Die sogenannten UN-Staatenprüfungen werden durch einen eigenen Fachausschuss für alle Unterzeichnerstaaten in mehrjährigen Abständen durchgeführt. Für Deutschland findet 2020 die 2. Staatenprüfung statt. Ziel ist die Bewertung, wie die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Deutschland umgesetzt wurde.
Bereits im Oktober 2018 hat der Ausschuss eine Liste von Fragen verabschiedet, zu der die Bundesregierung und die Nicht-Regierungsorganisationen Stellung nehmen. Im Wesentlichen fordert der UN-Ausschuss von der Regierung, Menschen mit Behinderungen eine unabhängige Lebensführung in der Gemeinde zu erleichtern, statt weiter an Doppelstrukturen für Bildung, Wohnen und Arbeit festzuhalten.
Insbesondere sei das segregierende Schulwesen zurückzubauen und die Behindertenwerkstätten zugunsten einer Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt schrittweise abzuschaffen.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft WfbM (BAG WfbM) fordert in einer gemeinsamen Stellungnahme mit den Werkstatträten Deutschland (WRD), dass der Fachausschuss der UN bei der anstehenden Staatenberichtsprüfung zur Umsetzung der UN- BRK in Deutschland die Bedeutung der Leistungen von WfbM berücksichtigt.
WRD und die BAG WfbM vertreten die Ansicht, dass die Dienstleistungen der Werkstätten in Deutschland eine wichtige Maßnahme darstellen, um Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben teilhaben zu lassen. Sie fordern, dass der UN-Ausschuss bei der nächsten Staatenberichtsprüfung das deutsche System näher beleuchtet. Dabei soll berücksichtigt werden, dass sich die Werkstätten kontinuierlich weiterentwickeln und sich – auch dank des Erfolges der UN-BRK – mehr und mehr in den Sozialraum öffnen.
Werkstattbeschäftigte und WfbM setzen sich gemeinsam dafür ein, die Werkstattleistung zu erhalten, und fordern ein genaueres Hinsehen und die Anerkennung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben von Menschen mit teils schwersten Behinderungen. Das Wunsch- und Wahlrecht darf für diejenigen nicht abgeschafft werden, die sich bei der momentanen Arbeitsmarktsituation nicht in der Lage sehen, die Werkstatt zu verlassen. Auch sie müssen verschiedene Berufsfelder ausprobieren und die ihnen gebotenen Möglichkeiten zur beruflichen Bildung nutzen können.
WRD und die BAG WfbM fordern, dass während des Prozesses des Staatenberichts von 2020 – im Gegensatz zum letzten Staatenbericht – auch ihre Stimme zählt.
Der neu eingeführte § 61 Sozialgesetzbuch (SGB) IX schafft dauerhafte Fördermöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen, die aus der WfbM in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis übergehen. Möglich ist ein dauerhafter Lohnkostenzuschuss bis zu 75 % des Bruttolohns einschließlich des Arbeitgeberanteils zur Sozialversicherung (Arbeitergeberbruttogehalt), ebenso eine dauerhafte arbeitsbegleitende Unterstützung.
Praxistipp: Ihre Unterstützung ist nötig. Bei der Verabschiedung des SGB IX hat der Gesetzgeber nur eine relativ kleine Zahl von WfbM-Übergängen per Budget für Arbeit (§ 61 SGB IX) von ca. 1.000 pro Jahr angestrebt. Aber auch für diese Zahl von Übergängen in den ersten Arbeitsmarkt sehe ich Handlungsbedarf und Handlungsmöglichkeiten auch bei Ihnen als SBV. Nur mit Ihrer Hilfe wird dieses Ziel meines Erachtens erreichbar.
Gesetzlich sollen Arbeitgeber nach § 155 SGB IX auch besondere Gruppen schwerbehinderter Menschen beschäftigen. Nach § 176 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX haben Sie als Schwerbehindertenvertretung die Einhaltung auch dieser Vorschrift zu überwachen. Falls Sie da Verstöße bzw. ungenutzte Möglichkeiten sehen, thematisieren Sie dies auf den Monatsbesprechungen mit Ihrem Arbeitgeber.
Wenn Sie in Ihrem Betrieb eine grundsätzliche Bereitschaft zur Prüfung der Beschäftigungsmöglichkeiten im Rahmen des Budgets für Arbeit schaffen können, gratuliere ich Ihnen! Einfach wird das nicht. Wie haben Ihnen im Folgenden einige Tipps zusammengestellt, wie Sie nun weiter vorgehen können.
Wahrscheinlich wird man Sie fragen, wie die ersten Schritte aussehen können, geeignete Arbeitsplätze und geeignete Bewerber aus der WfbM zu finden. Dafür stehen Ihnen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung – leider regional derzeit noch recht unterschiedlich.
Einen Überblick über Ihre Möglichkeiten als SBV, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von Menschen aus der WfbM zu fördern, gibt Ihnen die nachstehende Übersicht.
1. Einstieg per Ansprache der örtlichen WfbM
2. Einstieg über den zuständigen IFD
3. Umwandlung von bereits bestehenden Außenarbeitsplätzen für WfbM-Beschäftigte in Ihrem Unternehmen
4. Für alle 3 Alternativen gilt