26.04.2017

Was ist Diskriminierung?

Um gezielter gegen Diskriminierung vorgehen zu können, sollten Sie als Schwerbehindertenvertretung genau wissen, wie Diskriminierung definiert wird.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das seit 10 Jahren in Kraft ist, spricht von Benachteiligung. Diese liegt vor, wenn eine Person wegen einer rechtlich geschützten Eigenschaft – wie die Rasse oder ethnische Herkunft, das Geschlecht, die sexuelle Identität, das Alter oder eine Behinderung – durch beispielsweise den Arbeitskollegen oder Arbeitgeber eine weniger günstige Behandlung als andere Personen erfährt.

Der Diskriminierungsschutz des AGG erstreckt sich auch auf indirekte Benachteiligungen. Dabei handelt es sich dem Anschein nach um neutrale Regelungen, die Menschen aber wegen eines der zuvor genannten Merkmale schlechterstellen. Wenn der Arbeitgeber beispielsweise eine verpflichtende Maßnahme für alle Mitarbeiter ansetzt und der Schulungsraum keinen barrierefreien Zugang hat, diskriminiert er indirekt seine Angestellten im Rollstuhl.

Sie brauchen eine klare Orientierung: Wann beginnt Diskriminierung?

Es kommt leider immer noch viel zu häufig vor, dass Arbeitgeber Bewerber mit Behinderung trotz geeigneter Qualifikation nicht zum Bewerbungsgespräch einladen. In diesem Fall liegt z. B. eine Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vor. Zur weiteren Verdeutlichung habe ich für Sie folgende Sachverhalte zusammengestellt, die zweifelsfrei Diskriminierung identifizieren.

Diskriminierung
Vereinbarungen im Tarifvertrag, die Arbeitnehmer unmittelbar wegen ihrer Schwerbehinderung benachteiligen

Beispiel/Anmerkungen
das vorzeitige Ende der Altersteilzeit schwerbehin­derter Arbeitnehmer, wenn ihnen ein Anspruch auf abschlagsfreie Altersrente zusteht (Landesarbeitsgericht Köln, 19.11.2012, Az. 12 Sa 692/13)

Diskriminierung
Abfindungsregelung im Sozialplan, die sich nicht an das AGG hält

Beispiel/Anmerkungen
eine unmittelbar an das Merkmal der Behinderung knüpfende Bemessung einer Sozialplanabfindung, die schwerbehinderte Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern schlechterstellt (BAG, 17.11.2015, Az. 1 AZR 938/13)

Diskriminierung
Anweisung des Arbeitgebers, einen Mitarbeiter mit Schwerbehinderung zu benachteiligen

Beispiel/Anmerkungen
Das ist leider recht schwierig zu beweisen.

Interessantes für Sie aus der Rechtsprechung bei Diskriminierung

Damit Sie als Schwerbehindertenvertretung ein Gefühl dafür entwickeln, wie die Rechtsprechung mit Diskriminierung umgeht, habe ich für Sie 2 Urteile aufbereitet. Nicht immer geben die Gerichte dem Benachteiligten recht, der sich vor Diskriminierung schützen möchte.

1. Präventionsverfahren in der Probezeit: keine Pflicht für Arbeitgeber

Der Arbeitgeber darf einem behinderten Arbeitnehmer in der 6-monatigen Probezeit kündigen. In diesem Zeitraum eines Arbeitsverhältnisses ist er zu keinem Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 Sozialgesetzbuch IX verpflichtet. Das Bundesarbeitsgericht hat das im Frühjahr 2016 entschieden (BAG, 21.4.2016, Az. 8 AZR 402/14). Ziel des Präventionsverfahrens ist es, bei Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis, die zum Verlust eines Arbeitsplatzes führen können, frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung einzuschalten.

Im zugrundeliegenden Fall kündigte der Arbeitgeber der schwerbehinderten Beschäftigten das Arbeitsverhältnis noch vor Ablauf der Probezeit. Die Arbeitnehmerin machte einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz geltend. Da der Arbeitgeber kein Präventionsverfahren durchgeführt hatte, sah sie sich wegen ihrer Schwerbehinderung diskriminiert.

Das Verfahren sei eine besondere Schutzmaßnahme zur Vermeidung von Nachteilen für Schwerbehinderte sowie eine „angemessene Vorkehrung“ im Sinne von Art. 2 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Ihr sei die Möglichkeit genommen worden, behinderungsbedingte Fehlleistungen zu beheben, trug sie in ihrer Klage vor.

Das BAG sah im Präventionsverfahren selbst keine „angemessene Vorkehrungsmaßnahme“ im Sinne von Art. 2 der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK). Zudem sei der Arbeitgeber nicht verpflichtet, innerhalb der ersten 6 Monate des Arbeitsverhältnisses ein Präventionsverfahren durchzuführen. Die Nichtdurchführung hat also weder die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge noch stellt sie eine Diskriminierung dar.

2. Wahlunterlagen müssen barrierefrei zugänglich sein

Das Landesarbeitsgericht Hessen stellte in seinem Urteil vom 29.4.2015 eine Benachteiligung fest (Az. 9 TaBV 12/15) und erklärte eine Betriebsratswahl für unwirksam. Die im Betrieb beschäftigten blinden und stark sehbehinderten Arbeitnehmer waren nicht ausrei¬chend über die Wahlunterlagen informiert worden.

Hintergrund: Die barrierefreie Bereitstellung von Wahlunterlagen ist bisher nicht klar gesetzlich geregelt. Für viele Arbeitgeber stellt es sich in der Praxis zudem problematisch dar, Informationen barrierefrei bekannt zu machen. Nach Art. 27 Abs.1c UN-BRK muss der Arbeitgeber seinen Beschäftigten mit Schwerbehinderung jedoch freien Zugang zu den Wahlen ihrer Interessenvertretungen gewähren.

Nach der geltenden Rechtslage ist den Wahlvorständen zu empfeh¬len, von der ergänzenden Bekanntmachung der Wählerliste und des Wahlausschreibens, z. B. mithilfe moderner Informations- und Kom¬munikationstechnik, Gebrauch zu machen. Dieses Recht kann sich im Einzelfall zu einer Pflicht verdichten.

Fazit
Um von einer Diskriminierung gegen Bewerber und Arbeitnehmer mit Schwerbehinderung sprechen zu können, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Es kommt aber immer häufiger vor, dass die Rechtsprechung gegen Diskriminierung aktiv wird. Nutzen Sie vor diesem Hintergrund Ihre gesetzli-chen Spielräume und die UN-BRK aus. Fordern Sie sachlich, aber nachdrücklich die Rechte Ihrer Kollegen mit Schwerbehinderung ein.

Hohe Diskriminierungsrate bei Bewerbern mit Behinderung

Eine Absage wegen Behinderung ist leider immer noch häufig Realität. Dies beweist ein Feldexperiment der Autorin Linda Sprenger, das die mögliche Diskriminierung im Bewerbungsprozess in Deutschland untersuchte. Das Ergebnis: Behinderte Bewerber erhalten im Vergleich zu den nicht behinderten viel öfter negative Reaktionen oder bekommen Absagen.
Dem Experiment lagen je 2 Bewerbungen von Studentinnen mit vergleichbaren Qualifikationen sowie vergleichbarem Anschreiben und Foto an 76 Unternehmen zugrunde. Eine der beiden Bewerberinnen erwähnte ihre Sehbehinderung im Anschreiben, die andere nicht.

Als positive bzw. negative Reaktionen berücksichtigte das Experiment neben der direkten Einladung zu einem Vorstellungsgespräch auch die Frage nach Zeugnissen oder Zeitraumveränderungen und die Bitte um einen Rückruf.

Keine diskriminierungsfreien Ergebnisse

Von den 76 angeschriebenen Unternehmen haben 32 auf mindestens eine der beiden Bewerberinnen positiv reagiert und bildeten damit die Nettostichprobe.
Und so lautet das Ergebnis: Die nicht behinderte Bewerberin hat 30 positive Reaktionen und lediglich 2 negative Reaktionen erhalten. Die behinderte Bewerberin hingegen hat 13 positive und 19 negative Reaktionen erhalten.

Anders ausgedrückt, verringerte das Erwähnen der Behinderung in der untersuchten Stichprobe die Chance auf eine positive Reaktion um mehr als 95 %. Von den 32 Unternehmen haben 19 Unternehmen (59,4 %) ausschließlich die nicht behinderte Bewerberin mit einer positiven Rückmeldung kontaktiert.

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