06.12.2019

Wie kann ein behinderter Mensch während des Antrags Kündigungsschutz erlangen?


Kündigungsschutz greift nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) erst 3 Wochen nach Antragstellung. Dies gilt sowohl für Anträge auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nach § 152 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) IX als auch für Anträge auf Gleichstellung (§ 151 Abs. 1 SGB IX).

Lesen Sie hier einen Leserbrief zu dieser Frage:

Die Schwerbehindertenvertretung Rolf K. aus F. fragt, wie ein behinderter Mensch bei Kündigungsgefahr und gerade erst gestelltem Antrag auf Feststellung der Behinderung (§ 152 SGB IX) möglichst sicher einen schwerbehindertenrechtlichen Kündigungsschutz erlangen kann.

Antwort: Parallele Antragstellung ist möglich 

Um zu vermeiden, dass Betroffene den Gleichstellungsantrag zu spät stellen, können sie seit 2014 parallel die Feststellung der Schwerbehinderung (§ 152 SGB IX) und die Gleichstellung (§ 151 SGB IX) beantragen. Zulässig ist dies nach einem Urteil des BAG (31.7.2014, Az. 2 – AZR – 434/13).

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können ein Verfahren zur Feststellung der Behinderung (§ 152 Abs. 1 SGB IX) und ein Gleichstellungsverfahren von Beginn an parallel betreiben. Sie stellen also den Gleichstellungsantrag bei der Bundesagentur für Arbeit vorsorglich für den Fall, dass der Grad der Behinderung (GdB) unter 50 bleiben sollte. Die Bundesagentur für Arbeit stellt dann die Bearbeitung des Gleichstellungsantrags zurück.

Das heißt, der Antrag ruht bis zum Ausgang des Verfahrens beim Versorgungsamt. Die Bundesagentur für Arbeit wartet also eine bestandskräftige Entscheidung der zuständigen Stelle über den GdB ab.

Der Antragsteller muss allerdings im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten nach §§ 60 ff. SGB I alle für das Gleichstellungsverfahren erheblichen Tatsachen angeben bzw. nachweisen. Dazu gehört in diesen Fällen auch die zeitnahe Übermittlung der Entscheidungen im „vorgelagerten Verfahren“ zur Feststellung des GdB (z. B. Entscheidung der hierfür zuständigen Stelle, Einlegen von Rechtsmitteln).

Gleichstellungsantrag schützt erst nach 3 Wochen vor Kündigung

Die Entscheidung über die Gleichstellung wirkt grundsätzlich ab dem Tag der Antragstellung. Zum Wirksamwerden des besonderen Kündigungsschutzes nach § 168 SGB IX hat das BAG mit Urteil vom 1.3.2007 (Az. 2 AZR 217/06) entschieden, dass er nur bei solchen Arbeitnehmern greift, die bei Zugang der Kündigung bereits gleichgestellt sind oder einen Antrag auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen mindestens 3 Wochen vor Zugang der Kündigung gestellt haben.

Die Gleichstellung erfolgt grundsätzlich unbefristet, wenn er- kennbar ist, dass der Antragsteller dauerhaft auf sie bzw. ihren Schutz angewiesen sein wird. Sie kann bei konkreten Anlässen befristet werden (z. B. bei befristetem Feststellungsbescheid der zuständigen Stelle, Ablauf einer Arbeitserlaubnis).

Praxistipp: Parallele Antragstellung ist in manchen Fällen sinnvoll
Bei Kolleginnen und Kollegen, für die eine zeitnahe Kündigung nicht ausgeschlossen werden kann, ist es empfehlenswert, den Antrag auf Feststellung und Gleichstellung parallel einzureichen. Dies gilt meines Erachtens vor allem auch für alle Feststellungsanträge, die während oder nach einem betrieblichen Eingliederungsmanagement (§ 167 Abs. 2 SGB IX) gestellt werden.

Falls der GdB von 50 festgestellt wird, kann der Antragsteller den Gleichstellungsantrag ohne Weiteres zurückziehen. Liegt nur ein GdB von 30 oder 40 vor, ist dies der Agentur für Arbeit mitzuteilen. In der Regel ist die Vorlage des Bescheids notwendig. Die Agentur für Arbeit startet dann die Bearbeitung des Gleichstellungsantrags. Sie als Schwerbehindertenvertretung werden dabei zur Stellungnahme aufgefordert.

Es gelten die folgenden Regeln: Nur die Behinderung ist als Grund der Gefährdung des Arbeitsplatzes zu nennen, auf keinen Fall darf auf andere mögliche Gefährdungsgründe – wie z. B. allgemeinen Personalabbau, drohende Unternehmenskrise oder Rationalisierung – eingegangen werden. Dies würde die Gleichstellungschancen nicht erhöhen, sondern verschlechtern.

Die Gleichstellung erfolgt ausschließlich wegen der Behinderung und nur für den Erhalt oder die Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes! Die Bundesagentur für Arbeit entscheidet nach den „Fachlichen Weisungen zu § 151 SGB IX“ (Download: https://con.arbeitsagentur.de/prod/apok/ct/dam/download/documents/doc_ba016002.pdf).

Eine Gleichstellung kommt nur in Bezug auf einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 Abs. 1 SGB IX in Betracht. Also nur, wenn der behinderte Mensch die Tätigkeit auf diesem Arbeitsplatz auf Dauer ausüben kann. Nicht geeignet ist ein Arbeitsplatz, wenn die Behinderung sich wegen der Belastungen an diesem Arbeitsplatz zu verschlechtern droht.

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